L'économie du couple

Die Liebe und das Geld: Nach 15 Jahren Ehe will sich Marie von Boris scheiden; da die Finanzen dafür nicht reichen, leben sie weiter zusammen. Psychologisch und sozialkritisch eindrückliche Filmstudie des Belgiers Joachim Lafosse.
L'économie du couple

Marie und Boris, vereint und zugleich getrennt

Marie ist genervt, als sie nach Hause kommt: Sie ist einkaufen gegangen, hat die Zwillinge Jade und Margaux abgeholt, muss jetzt das Essen kochen und mit den Kindern die Hausaufgaben machen, und da steht plötzlich auch noch ihr Mann Boris vor ihr. An einem Mittwochnachmittag, obwohl abgemacht ist, dass er mittwochs erst nach 20 Uhr nach Hause kommt.

Nach 15 Jahren Ehe haben Marie und Boris beschlossen, sich scheiden zu lassen. Für Marie ist klar, dass ihr das Haus gehört, da sie es bezahlt hat. Boris hingegen begründet seine Ansprüche damit, dass er es über Jahre komplett renoviert hat. In ihrer Wut und Verzweiflung sind sie unfähig, einen Kompromiss zu finden. Zudem macht ihre erloschene Liebe den Alltag unerträglich. Täglich gibt es Streit über Nichtigkeiten: das Schreiben von SMS, die Fussballschuhe der Mädchen, den Käse im Kühlschrank und immer wieder über das Geld.

Bei einem Abendessen mit Freunden in ihrem Garten schüttet Marie vor diesen ihr Herz aus. Der ganze Kummer sprudelt nur so aus ihr heraus. Sie erzählt, wie sehr sie die Situation belastet, wie sehr sie Boris mittlerweile hasst und dass die frühere grosse Liebe in Schutt und Asche liegt. Während sie die schmerzhaften Tatsachen preisgibt, kommt Boris heim. Doch statt ins Haus zu gehen, setzt er sich zur Gesellschaft und beginnt zu sticheln. Marie bittet ihn zu gehen, doch er setzt seine Provokationen fort. Die Stimmung droht zu kippen, da gibt Boris plötzlich auf und verschwindet. Mit tränennassen Augen schneidet Marie den selbst gebackenen Kuchen.

Um etwas Zeit für sich zu haben, verreist Marie kurz darauf für einige Tage. Boris bleibt mit den Kindern zu Haus. Als sie zurückkehrt, sind die Zwillinge überglücklich, dass wieder alle vereint sind. Sie verbringen, wie früher, einen unbeschwerten Abend mit Spielen und Tanzen, doch Marie leidet. Nach einer gemeinsamen Nacht schlägt Boris eine Paartherapie vor, sie antwortet ihm mit dem Vorschlag einer finanziellen Abfindung.

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Seltene Momente des Glücks

Wenn die Liebe stirbt

Der Regisseur Joachim Lafosse hat uns mit seinem Spielfilm «Die Ökonomie der Liebe», mit Bérénice Bejo als Marie, Cédric Kahn als Boris und den Zwillingsschwestern Margaux und Jade, das eindrückliche, authentische Psychodrama einer Ehe in der Krise geschenkt. Exakt beobachtet und erzählt, wie eine Liebe langsam stirbt. Leicht stellen sich bei uns Zuschauenden Schuldzuweisungen ein. Doch man sollte sich, das meine Einsicht nach zweimaligem Sehen, hüten, Marie oder Boris Fehlverhalten ankreiden. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man immer neue Gründe und Hintergründe.

Die Geschichte kann gelegentlich traurig, gelegentlich nachdenklich stimmen, dann nämlich, wenn man das Gezeigte als Spiegelung eigener Erlebnisse oder Haltungen, Reaktionen oder Gefühle wahrnimmt. Allgemein gilt, dass Filme den Zuschauern gelegentlich Worte für das geben, was sie fühlen. Das intensive Spiel der Protagonisten kann uns treffen, die sorgfältige visuelle und akustische Gestaltung sie uns nahe bringen.

Die Beziehungen und Spannungen zwischen den Partnern sowie zwischen Eltern und Kindern wirkt erhellend und anregend. Interessantes gibt es auch zu entdecken, wenn man das Verhältnis von Arbeit und Vergnügen beobachtet, wie es der Vater und die Mutter mit den Mädchen verschieden erleben.

«L'économie du couple» des Belgiers Joachim Lafosse (* 1975) ist nach meiner Einschätzung verwandt mit «La loi du marché» des Franzosen Stéphane Brizé (* 1966). Im neuen Film geht es um das Geld in der Liebe, im älteren um die Arbeit in der Liebe: zwei gesellschaftliche Tatsachen, welche das Leben von Paaren auf die Probe stellen können. In beiden Fälle leiden die Frauen und Männer an den Auswüchsen des Kapitalismus. In beiden Filmen laden uns die Regisseure ein, den Auseinandersetzungen beizuwohnen, sie verstehen zu lernen, wahrzunehmen und mit andern Schicksalen in unserem Umfeld zu vergleichen.

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Boris, manchmal hilflos mit den Zwillingen

Aus einem Interview mit dem Regisseur Joachim Lafosse

Woher kam die Idee zu diesem Film?

Die Idee entstand bei einem Treffen mit der Autorin Mazarine Pingeot. Wir wollten beide einen Film über die unglaublich starken Emotionen machen, die bei Konflikten in einer Partnerschaft hochkochen. Häufig macht sich das beim Thema Geld bemerkbar.

Ist Geld das Symptom oder die Ursache ihres Konfliktes?

In einer Beziehung steht Geld für Dinge, über die wir streiten können, es ist aber nicht die tiefere Ursache für den Streit. Die Liebe von Boris und Marie ist nicht des Geldes wegen erloschen. Geld ist zwar ein Zankapfel, doch dahinter steckt stets die Frage, ob man Anerkennung erhält oder nicht.

Also kann man den Titel «L'économie du couple» auch politisch lesen?

Das ist eine Lesart. Als Regisseur sollte man seine Filme so offen wie möglich gestalten, vorzugsweise mit vielen verschiedenen Möglichkeiten, wie man darauf Bezug nehmen und sich damit identifizieren kann. Ich persönlich möchte den Film nicht aus dieser Perspektive betrachten. Mein Ausgangspunkt war der einfache Gedanke, dass man, wenn man Kinder bekommt, sich anfangs nicht vorstellt, dass die Beziehung einmal auseinandergehen könnte. Deswegen wohnt jeder Trennung eine Traurigkeit inne.

Die Situation dieses Pärchens ist für beide noch schwerer zu ertragen.

Es war unmöglich, die ökonomische Realität nicht zu berücksichtigen. Früher blieb man aus moralischen Gründen zusammen, heute sind es finanzielle Gründe. Das sagt etwas über unsere Zeit aus.

Warum haben Sie dem erwachsenen Paar die Zwillinge gegenübergestellt?

Ich hatte schon seit Jahren die Idee von einem sich trennenden Paar mit Zwillingskindern. Ich bin selber Zwilling und Halbbruder von Zwillingen, und mein geschiedener Vater hat mit seiner zweiten Frau ebenfalls Zwillinge bekommen. Das ist etwas, von dem ich hoffe, dass ich es in der Szene, in der alle zusammen tanzen, eingefangen habe.

Maries Mutter ist krampfhaft um eine Versöhnung des Paares bemüht.

Sie folgt der Logik ihrer Generation. Sie steht für eine Art von Kompromiss, bei dem Liebe in Freundschaft verwandelt wird. Ich würde gern glauben, dass Liebe etwas anderes ist: Wir leben mit jemandem zusammen, weil wir ihn begehren. Doch ist Verlangen per Definition die komplexeste, riskanteste und beunruhigendste Sache, die es gibt.

Kommen wir nochmals auf die Kinder.

Ich war selbst ein Scheidungskind, bin aber auch ein Scheidungsvater. Wenn man bedenkt, was dadurch möglich ist, kann das ein Vorteil sein, aber zugleich auch ein Nachteil, weil man die Traurigkeit, die in dieser Situation liegt, nicht ignorieren kann. Eine Trennung ist immer ein Scheitern.

Abgesehen von den Konflikten zirkulieren zahlreiche gute Gefühle zwischen den beiden.

Lange Zeit war Tragik für mich ein Schutzschild, wenn ich das Leben betrachtet habe. Jetzt bin ich glücklich, die Zärtlichkeit zeigen zu können, die in beiden Figuren steckt. Sie zerfleischen sich zwar, haben aber trotzdem noch etwas miteinander zu tun. Wenn die Leute aus dem Film kommen und sich fragen, wie man solch eine Situation lösen kann, ohne dem anderen zu schaden, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Regie: Joachim Lafosse, Produktion: 2016, Länge: 95 min, Verleih: Outside the Box