Lou Andreas-Salomé

Eine mutige Freidenkerin: Lou Andreas-Salomé. Friedrich Nietzsche hat sie verehrt, Rainer Maria Rilke geliebt, Sigmund Freud bewundert und Cordula Kablitz-Post über sie einen grossen, vielschichtigen Film gedreht.
Lou Andreas-Salomé

Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke

Für die einen ein Geheimtipp, die andere eine Kultfigur: Lou Andreas-Salomé. Sie wurde am 12. Februar 1861 in St. Petersburg geboren und ist am 5. Februar 1937 in Göttingen gestorben. Sie war eine weit gereiste und vernetzte Schriftstellerin, Erzählerin, Essayistin und Psychoanalytikerin aus einer russisch-deutschen Familie. Die Art ihrer persönlichen Beziehungen zu prominenten Vertretern des deutschen Geisteslebens – in erster Linie Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche und Sidmung Freud – war und ist bis heute Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen.

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Lou mit Friedrich Nietzsche und Paul Rees

Cordula Kablitz-Post, Regisseurin, Co-Drehbuchautorin, Produzentin ...

Cordula Kablitz-Post wurde 1964 in Aachen geboren. Parallel zum Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften und Anglistik in München und Berlin begann sie als Regieassistentin. Danach war sie freie Regisseurin und Autorin, porträtierte Künstler wie Nina Hagen, Mickey Rourke, Helmut Berger und Christoph Schlingensief, und realisierte Kurzfilme und Musik-Clips sowie zwei experimentelle Satire-Programme. Nach 1994 gründete sie verschiedene Film- und Fernsehproduktionsfirmen. Als Regisseurin der Dokumentarreihe «Liebe ohne Grenzen» wurde sie für den Grimme-Preis nominiert und für Regie und Produktion der Arte-Reihe «Durch die Nacht mit ...» mit dem gleichen Preis ausgezeichnet. «Lou Andreas-Salomé» ist ihr erster Kinospielfilm.

... und ihr Erstlingsfilm «Lou Andreas-Salomé»

Der Film packt von der ersten bis zur letzen Einstellung. Wegen seiner inhaltlichen und formalen Dichte, seiner eindrücklichen Schauspielkunst, der Fülle seiner biografischen und geistesgeschichtlichen Informationen und Deutungen, formal aber auch wegen des geschickten Wechsels der Zeitebenen, der klugen Verwendung von Techniken des Animationsfilms und der gekonnten Kameraarbeit von Matthias Schellenberg. Indem der Film in die Gefühle und das Bewusstsein der Protagonistin eintaucht, dringen wir in einen allgemeinen Emanzipationsprozess und eine geistesgeschichtliche Auseinandersetzungen im letzten Jahrhundert ein. Im Gegensatz zu andern Porträtfilmen können hier die vielfältigen Aussagen nicht auf eine einzige verdichtet werden, sondern fordern Zuschauerinnen und Zuschauer heraus, verschiedene Interpretationen des Lebens von Lou Andreas-Salomé zu akzeptieren.

In den ersten Einstellungen gleitet ein Gedichtblatt, von sphärischen Klängen begleitet, auf den Boden und der stumme Schrei einer jungen Frau zerreisst die Stille. Es ist die sechzehnjährige Lou Salomé, die begreift, dass sie als Geliebte und Ehefrau keine Chance hat, in der von Männern bestimmten Elite als Ebenbürtige zu bestehen, weshalb sie sich der körperlichen Liebe verweigert. Gleich zu Beginn klingt das Grundthema des Filmes an. Und als sich 1933 die dunklen Wolken des Nationalsozialismus über Deutschland zusammenziehen, lebt die alternde Lou allein mit ihrer Haushälterin Mariechen in einem grossen, alten Haus in Göttingen und blickt auf ihr Leben zurück. Eingespannt in diese zwei Szenen mäandert die Geschichte durch die Jahre.

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Das platonische Prinzip erprobend

Von St. Petersburg, über München, Göttingen, Zürich, Rom und Berlin, mit Rilke, Nietzsche und Freud, zurück nach St. Petersburg

Die alternde Lou Andreas-Salomé beschliesst, mit dem Germanisten Ernst Pfeiffer ihre Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Briefe und Postkarten weisen ihr den Weg in die Vergangenheit. Sie erinnert sich an den jungen Rainer Maria Rilke, der ihr anonyme Liebesgedichte geschickt und bei vielen Gelegenheiten aufgelauert hat, so bei einer Lesung, bei der sie Folgendes sagte: «Nichts vermag eine Frau so wahrhaft zu emanzipieren als die Ahnung, dass man ihr durch irgendeine Enge in der man sie künstlich hält, den Weg verwehrt, auf dem sie zu voller frommer Hingebung und Andacht dem Leben gegenüber gelangen könnte. Den Punkt finden könnte, von dem aus das Leben und sie selbst ihre geheimnisvoll ineinander rinnende Harmonie feiern.»

Lou wächst unter fünf Brüdern auf, eine Situation, die früh ihren Eigensinn und ihre Eigenständigkeit weckt. Sie will nicht einsehen, dass sie als Mädchen nicht auf Bäume klettern, sondern im Haus spielen soll. Sie hinterfragt den christlichen Glauben, findet Inspiration beim protestantischen Pfarrer Hendrik Gillot, der nach dem frühen Tod ihres Vaters zu ihrem väterlichen Mentor wird. Er bringt ihr neben den kirchlichen Denkern auch die weltlichen Philosophen nahe. Als er jedoch ankündigt, sich scheiden zu lassen, und ihr einen Heiratsantrag macht, reagiert sie verstört und erteilt der körperlichen Liebe und der Ehe erneut ihre Absage. Fortan will sie sich ausschliesslich ihrer geistigen Vervollkommnung widmen.

An der Universität von Zürich, der einzigen, an der damals Frauen zugelassen waren, beginnt Lou Religionswissenschaften und Philosophie zu studieren. Doch sie erkrankt und muss zur Erholung, unter der Obhut der strengen Mutter, nach Rom. Auf Empfehlung ihres Professors begegnet sie Frauenrechtlerinnen und findet Anschluss an den Rechtswissenschaftler und Philosophen Paul Rée, der sie mit dem Philologen und Philosophen Friedrich Nietzsche bekannt macht. Auch den Heiratsantrag von Rée lehnt sie ab: «Ich möchte frei sein, unabhängig. Ein Mann und Kinder lassen sich damit nicht vereinbaren. Wir können doch Freunde bleiben! Stellen Sie sich einfach vor, ich wäre ein Mann!»

Vom dionysischen und platonischen Prinzip

Die strengen Sittenregeln ihrer Zeit, in der uneheliche Lebensgemeinschaften noch mit Zuchthaus bestraft werden, anerkennt Lou Salomé nicht. Zusammen mit Rée und Nietzsche fährt sie an die oberitalienischen Seen, wo die drei eine ausgelassene, glückliche Zeit verbringen. «Ich hatte heute Nacht einen Traum. Wir lebten zusammen. Jeder von uns hatte sein eigenes Zimmer aber wir konnten immer unsere Gedanken austauschen, gemeinsam studieren, schreiben. Eine Kameradschaft mit dem Ziel der geistigen Vervollkommnung. Wäre das nicht wunderbar? Wir wollen doch einmal sehen, ob die scheinbar unüberwindbaren Schranken die diese Welt zieht, sich nicht als harmlose Kreidestriche erweisen.» Doch auch diese Idee einer platonischen Wohngemeinschaft zu dritt scheitert. Die vorausgegangene Auseinandersetzung verlief heftig. Nietzsche: «Wenn Sie sich niemals einem Mann hingeben, dann werden sie niemals das dionysische Prinzip, das leidenschaftliche, das sinnliche, das irrationale Wesen in sich selbst kennenlernen.» Lou: «Ich halte mich lieber an das apollinische Prinzip, Rationalität und keine Abhängigkeit von Gefühlen.» Nietzsche: «Das ist der Weg zum innersten Kern aller Dinge.» Lou: «Dazu brauche ich aber keinen Mann.» Im August 1986 zieht sie mit Paul nach Berlin und lernt dort den fünfzehn Jahre älteren Orientalisten Friedrich Carl Andreas kennen, dessen uneheliche Tochter später die Haushälterin der alternden Lou sein wird. Ein Jahr darauf willigt sie in dessen Heiratsantrag ein, doch nur unter der Bedingung, dass es bei einer «Scheinehe» bleibt.

Rilke mietet in der Nähe von Lou eine Wohnung, was zu Spannungen mit dem eifersüchtigen Ehemann führt. Doch zusammen mit Rilke reist Lou nach St. Petersburg, um Tolstoi zu besuchen, mit dessen Übersetzung Rilke ringt. Doch zunehmend leidet sie unter der beengenden Liebe des labilen Dichters. Sie trennt sich von ihm. Nacheinander sterben Nietzsche und Rée. Lou öffnet sich dem von Nietzsche propagierten dionysischen Prinzip der Leidenschaft und lebt es in einer Fülle von Affären aus. In Wien lernt sie Sigmund Freud kennen und entdeckt die Psychoanalyse für sich. Im Rahmen ihrer eigenen Analyse, die Freud als Voraussetzung für die Teilnahme an seinen Seminaren einfordert, reflektiert sie noch einmal die prägenden Stationen ihres Lebens.

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Ernst Pfeiffer und Lou Andreas-Salomé

Wer ist Lou Andreas-Salomé?

Obwohl Rainer Maria Rilke immer wieder von Lou Andreas-Salomé kritisiert und abgelehnt wurde, dürfte seine Beschreibung der Frau sie wohl im Kern treffen:

«Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.»


Regie: Katharina Lorenz, Produktion: 2016, Länge: 113 min, Verleih: Filmcoopi