Mad Hot Ballroom

Tanzen als Erziehungsmittel

Seit bald einem Jahr läuft in der Schweiz mit grossem Erfolg der Dokumentarfilm «Rhythm is it!». Er erzählt von einem Projekt der Berliner Philharmonie, bei dem tanzungewohnte Jugendliche lernen, die Musik von «Sacre du printemps» in Tanz umzusetzen. Gegenwärtig kommt der amerikanischer Dokumentarfilm «Mad Hot Ballroom» über ein ähnliches Projekt bei uns ins Kino. Die Regisseurin erzählt darin von New Yorker Kindern, die in einem Tanzprojekt und dem abschliessenden Wettbewerb mehr als nur tanzen lernen.

Der Tanzsaal, ein Schulraum

In «Mad Hot Ballroom» begleitet die Amerikanerin Marilyn Agrelo in New York drei Schulklassen mit Kindern zwischen 8 und 11 Jahren beim Projekt «Dancing Classrooms». Das gemeinnützige Programm gibt es seit 1994. Heute versuchen an 60 öffentlichen Primarschulen bereits 30 Personen über 7000 Kindern in 290 zehnwöchigen Kursen Tanzen und guten Umgang beizubringen. Einem Teil gelingt dies problemlos, sie haben den Rhythmus im Körper; andere bemühen sich, Schritt um Schritt die exotischen Rhythmen von Rumba, Tango, Foxtrott, Merengue und Swing zu erlernen.

Der Dokumentarfilm kommt unterhaltsam und unbeschwert daher, entlockt einem da und dort ein Lächeln oder ein Lachen. Wobei nicht unwesentlich zu dieser Leichtigkeit die Schweizer Cutterin Sabine Krayenbühl beigetragen hat, indem es ihr gelungen ist, 150 Stunden Aufnahmen auf 105 Minuten zu reduzieren und zu einem kleinen Kunstwerk zu montieren.

Anstand und Respekt lernen

«Mit dem Programm möchten wir den Kindern ein Gefühl für soziale Verantwortung vermitteln und ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl stärken. Durch das Tanzen mit einem Partner lernen die Schüler, ihr Gegenüber zu achten, Rücksicht zu nehmen und im Team zu agieren», heisst es in den Leitsätzen. Die sozialpädagogische Dimension des Programms untermauert die Tatsache, dass 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler weiss, ein Viertel schwarz, ein Viertel lateinamerikanischer Herkunft und 30 Prozent asiatisch sind.

Es bietet sich an, «Mad hot Ballroom» mit «Rhythm is it!» zu vergleichen. Für mich persönlich betont der deutsche Film in stärkerem Masse die Selbstfindung der jungen Menschen, deren persönliche Entwicklung und die Entfaltung ihrer Kreativität. Der amerikanische betont vor allem das Erlernen der Tänze und den schulischen Wettbewerb. Er unterstreicht das Einhalten der Anstandsregeln und den Respekt zwischen den Tanzpartnern, sicherlich auch wichtige, oft vernachlässigte Werte. Die beiden Filme vertreten somit zwei verschiedene Weltbilder und sich widersprechende oder ergänzende pädagogische Wertsysteme, die zu diskutieren sich lohnt.