Mama Africa
Mika Kaurismäkis Dokumentarfilm «Mama Africa» über die weltbekannte südafrikanische Sängerin Miriam Makeba (1932 – 2008), die ein halbes Jahrhundert lang die Welt bereiste und ihre politische Botschaft gegen Rassismus und Armut und für Gerechtigkeit und Frieden verbreitete, ist die eindrückliche Hommage für eine Frau, die wie keine andere die Stimme Afrikas verkörpert. Sie hat Musiker überall auf der Welt inspiriert und ein internationales Publikum begeistert. Gleichwohl blieb sie den südafrikanischen Wurzeln ihrer Musik immer treu. Ins Exil musste sie als 27-Jährige, nachdem sie im apartheidkritischen Dokumentarfilm «Come back, Africa» von Lionel Rogosin mitgewirkt hatte. Harry Belafonte verhalf ihr in die USA, wo sie 1962 bei einer Geburtstagsfeier von John F. Kennedy auftrat und fünf Jahre später mit «Pata Pata» ihren ersten Welthit landete. Als sie ein Jahr später den Black-Panther-Aktivisten Stokely Carmichael heiratete und ins Fadenkreuz des FBI geriet, floh sie nach Guinea und setzte ihr Engagement gegen das weisse Apartheid-Regime in ihrer Heimat von dort aus fort.
Den Lebensweg dieser aussergewöhnlichen Frau und Künstlerin, die musikalisch Furore machte und die Freiheitsbewegung in Südafrika vorantrieb, stellt der Film «Mama Africa» mit Hilfe von seltenen Dokumentaraufnahmen und Interviews vor: mit Freunden, Verwandten und Kollegen, die sie zum Teil schon seit deren Anfängen in den Dancehalls von Johannesburg kennen und schätzen gelernt hatte, sowie mit Vertreterinnen der jungen afrikanischen Musik.
Nachgedanken …
Das zufällige Zusammentreffen der beiden Daten – 8. März Internationaler Frauentag und 4. März 80. Geburtstag der verstorbenen Miriam Makeba – bewegten mich zu einigen verbindenden Gedanken:
Wieder einmal wird hier hautnah hör- und sichtbar, dass Musik und Gesang nicht nur zum Geniessen und Träumen sind, sondern, wie bei Miriam Makeba, zwar Genuss bereiten, doch gleichzeitig wachrütteln können gegen die Ungerechtigkeit in der Welt. Ihre Lieder sind nicht Wegträumen, sondern zum Hinträumen einer besseren Welt. Genau so, wie Dom Helder Camara es gesagt hat: «Wenn einer allein träumt, bleibt es ein Traum. Wenn aber wir alle gemeinsam träumen, dann wird es Wirklichkeit.» Miriam Makeba hat in ihren zahllosen Auftritten vor Tausenden von Menschen in Gemeinschaft geträumt – und der Traum wurde Wirklichkeit, die Apartheid in Südafrika wurde (wenigstens im Grundsatz) beendet.
Gesang und Musik können zum Kampf aufrufen gegen Ungerechtigkeit und für Freiheit. Makeba hat mit ihrer Kunst gegen die Apartheit und für die Rechte der Schwarzen gekämpft. Ihr Leben motiviert auch uns Nachgeborene zum Kämpfen, nicht auf die Art und Weise, wie es Männer normalerweise tun, nämlich mit Krieg, der nur Probleme schafft, nicht löst. Doch sie tat es mit Leidenschaft. Über allem Kampf macht sie bewusst, dass dahinter stets eine unendliche Lust auf Leben brennt. Ähnlich wie es Friedrich Nietzsche im «Trunkenen Lied» formuliert: «Die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh, Lust, tiefer noch als Herzeleid. Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit; will tiefe, tiefe Ewigkeit.»
… zum Film
Der dänische Filmemacher Mika Kaurismäki, der Bruder des berühmteren Aki, hat für diesen Dokumentaressay viele unbekannte Dokumente ausgegraben und zusammen mit bekannten Aufnahmen den Film komponiert. Und er hat sie so montiert, dass daraus kein didaktischer Lehrfilm wurde, sondern eine Begegnung mit einer grossen Frau, einer Sängerin und Politikerin: spannend, faszinierend und unterhaltend («Unterhalt» verstanden als «Nahrung für die Seele»). «Ich singe die Wahrheit», ist denn auch ihr Bekenntnis, das sie unverwechselbar und einmalig macht.
Wie die Welt um Miriam Makeba damals ausgesehen hat, zeigt eine Schilderung an, die Ruedi Küng, ein ehemaliger Afrikakorrespondent von Radio DRS im Trigon-Magazin, Nummer 56, notiert hat: «Es gab in den 1950er Jahren einen todschicken Nachtclub an der Eloff Street in Johannesburg. Die reichen Weissen verkehrten dort. Es traten aber auch schwarze Musiker und Sängerinnen auf. Sie mussten den Lieferanteneingang benutzen. In ihren Glitzerkleidchen kamen die Sängerinnen durch die Küchentür ins Lokal, traten auf und verschwanden durch dieselbe Küchentür wieder, um danach in die Township zurückzukehren, wo sie wohnten.» Die wunderschöne Miriam Makeba gibt der Welt von dort und damals ein menschliches Gesicht.
Viele ihrer Texte beinhalten klare, politische Aussagen. So wendet sie sich in «Mayibuye» direkt an ihr Volk: «Wach auf. Wir wahrhaften Südafrikaner haben lange unter den Gesetzen der weissen Leute gelitten. Die Zeit unserer Befreiung ist gekommen. Dieses Land gehört uns (…) Vertraut dem weisen Mann nicht, denn er ist gekommen, um uns unser Land wegzunehmen.» Aus dem tiefen Erlebnis, das der Film auslöst, werden hoffentlich auch bei uns Kräfte frei, die zum Weiterdenken und zum Handeln bewegen. Wenn Malcolm X, einer der Black-Panther-Vordenker, meint, «es ist unmöglich, an den Kapitalismus und nicht zugleich an den Rassismus zu glauben, es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus», so trifft dieser Satz mitten in die heutige Diskussion über das Ende des Kapitalismus, dass unsere billigen Ausreden uns im Halse stecken bleiben.
Mariam Makebas Tod scheint mir symbolisch: Auf den 9. November 2008 wurde sie zu einem Benefizkonzert für den italienischen Schriftsteller Roberto Saviano geladen. Dieser hatte mit dem Buch (und später dem Film) «Gomorrha» nicht nur einen Bestseller verfasst, sondern auch den lebensgefährlichen Zorn der Mafia-Organisation Camorra auf sich gezogen. Das Konzert sollte die Solidarität der Bevölkerung mit ihm unter Beweis stellen. Miriam Makeba reiste aus Südafrika an und trat auf. Nach dem halbstündigen Konzert brach sie zusammen und starb am nächsten Morgen an den Folgen eines Herzinfarktes, mit 76 Jahren, fern ihrer Heimat, doch daheim bei den Ihren.