Nowhere Special

Eine Vater-Sohn-Beziehung: Ein alleinerziehender, kranker Vater widmet die letzten Monate seines Lebens der Suche nach einer neuen Familie für seinen vierjährigen Sohn. Der Italiener Uberto Pasolini hat mit «Nowhere Special» einen feinfühlenden und authentischen Film geschaffen, der mit seiner Menschlichkeit berührt. Ab 5. August im Kino
Nowhere Special

 

Michael und John feiern Geburtstag

John führt ein einfaches, ruhiges Leben in einer irischen Kleinstadt. Vormittags arbeitet er als Fensterputzer, den Rest des Tages verbringt er mit seinem vierjährigen Sohn Michael. Der junge Vater ist alleinerziehend, Michaels Mutter hat die beiden kurz nach der Geburt verlassen. Jetzt ist John krank und hat nur noch wenige Monate zu leben, was ihn fast zur Verzweiflung bringt. Doch die Beziehung zwischen ihm und Michael wird immer inniger und kostbarer. Sorgsam versucht der Vater, die schwere Last von seinem Sohn fernzuhalten und gleichzeitig, unterstützt von der anteilnehmenden Sozialarbeiterin Shona, für ihn eine geeignete neue Familie zu finden. Doch weiss er überhaupt, wie Michaels Zukunft aussehen soll? John beginnt zu begreifen, dass er keinen rationalen, sondern einen emotionalen Entscheid treffen, seinen Weg im Hier und Jetzt mit Michael gehen und ihm so Zuversicht vorleben muss.

Der Film berührt gleichermassen durch seine Zurückhaltung und seine Intensität – leise und ausdrucksstark, vieles andeutend und bei manchem verweilend. John, der Vater, spielt hervorragend, eine Überraschung auch Michael, der Junge. Zusammen mit den andern, gut charakterisierten Personen, bilden sie ein abgerundetes Schauspieler*innen-Team. «Nowhere Special», tief bewegt und bewegend, ist von grosser innerer Schönheit und Leichtigkeit getragen.

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John in seinem doppelten Konflikt

Personen, die das Leben verkörpern

«No. 1 Dad» steht auf Johns Tasse. Er dreht sie in der Hand, denn er weiss, dass er diesen Titel nicht mehr lange tragen kann. Doch täglich macht er seine Runde als Fensterputzer, geht danach mit Michael in den Park und liest ihm abends aus einem der bunten Bücher vor. Er kümmert sich um ihn, will die Last des tragischen Schicksals, so gut es geht, von ihm fernhalten. Angesicht seiner nur noch kurzen Lebensdauer sucht er nach einer guten Lösung für seinen Sohn. Ein schwieriges, emotional herausforderndes Unternehmen. Gelegentlich überwältigt ihn dabei die Wut. Die wenige Zeit, die ihm noch bleibt, wird zum intensiven Abschiednehmen, indem John zu lernen beginnt, sich seinem Sohn zu öffnen. «Nowhere Special» ist ein ergreifendes Drama, das wohl kaum einen fühlenden Menschen kaltlässt.

«Nirgendwo etwas Besonderes», so der etwas sperrige deutsche Titel, ist ein Film, der in hohem Mass von den Schauspieler*innen lebt. Selten haben mich Menschen auf der Leinwand so berührt wie die drei Hauptpersonen dieses Films. An erster Stelle James Nordon, der den 33-jährige Arbeiter und alleinerziehender Vater verkörpert. Sein Spiel ist von höchster Qualität, wenn er spricht, vor allem aber wenn er schweigt und zuhört. Was dann auf seinem Gesicht geschieht, ist grossartig, man glaubt wahrzunehmen, was in ihm drin abläuft. Schon die Auswahl dieses und der übrigen Darsteller*innen ist gelungen; selten habe ich so intensiv wahrgenommen wie hier, was ein gutes Casting für die Glaubwürdigkeit eines Films leisten kann. Ein Glücksfall ist die Wahl von Daniel Lamont, der den kleinen Michael nicht spielt, sondern lebt. Auch seine Mimik nimmt gefangen, lässt nicht mehr los. Stellvertretend für alle Darsteller*innen gehört Eileen O'Higgins, der Sozialarbeiterin Shona, welche die schwierige Rolle zwischen den Parteien spielt, ein besonderes Lob.

Ebenso verdienen die Personen hinter der Kamera grosse Anerkennung. Angefangen bei dem für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlichen, 1957 in Rom geborenen Filmemacher und Produzenten Uberto Pasolini. Die vielschichtigen, inhaltlich gewichtigen Themen werden von ihm flüssig und mit feinen Anspielungen erzählt. Mit der Kamera adäquat ins Bild gesetzt wird das Drama von Marius Panduru, nie aufdringlich, stets aber dicht am Leben.

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Vater und Sohn vor der Kita

Aus den Anmerkungen des Filmemachers Uberto Pasolini


Ich wollte diesen Film machen, als ich über den Fall eines todkranken Vaters las, der versucht, für seinen kleinen Sohn vor seinem Tod eine neue Familie zu finden. Obwohl die Situation, in der sich die Hauptfiguren befinden, sehr dramatisch ist, war mein Entscheid, die Geschichte leise anzugehen, möglichst weit weg von Melodrama und Sentimentalität, wie es der grosse Meister Yasujirō Ozu jeweils gemacht hatte. Diese Herangehensweise soll im Stil sichtbar sein, direkt und frei von ablenkenden Schnörkeln. Die Kameraführung soll flüssig und unaufdringlich sein, teilweise auch den Standpunkt des Kindes widerspiegeln. Die grösste Herausforderung war, mit einem kleinen Jungen zu arbeiten und eine glaubwürdige Vater-Sohn-Beziehung aufzubauen und darzustellen. Glücklicherweise haben wir im jungen Daniel, damals vier Jahre alt, einen aussergewöhnlich bewussten, sensiblen und natürlichen Darsteller und in James einen äusserst grosszügigen Schauspieler gefunden, der viel Zeit in die Ausgestaltung der Figur investierte und seine Verbindung mit dem Jungen schon lange vor den Dreharbeiten pflegte, um ihn dabei zu unterstützen.


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Shona, die Sozialarbeiterin

Aus den Anmerkungen der Produzenten


«Nowhere Special», inspiriert von aktuellen Ereignissen, erzählt eine bewegende und fesselnde Geschichte einer aussergewöhnlichen Elternschaft. Pasolini verfolgt erneut einen zurückhaltenden Ansatz, um ein universelles Thema zu erkunden, die Beteiligung des Publikums einzubeziehen und Identifikation mit den Hauptakteuren und der dramatischen Situation zu schaffen. Der Regisseur hat davon gesprochen, die Arbeit von Ozu und der Gebrüder Dardenne als stilistische Hauptbezugspunkte für diesen Film gewählt und den Ansatz seines letzten Films, «Still Life», weiter entwickelt zu haben. Der neue Film bietet eine komplexe Darstellung des Themas Elternschaft, sowohl durch die Erfahrung der beiden Hauptfiguren als auch der potenziellen Adoptiveltern. Er besticht durch den Vater und seinen Sohn und die Beschreibung ihrer glaubwürdigen Beziehung.
Verzweiflung bringt. Doch die Beziehung zwischen ihm und Michael wird immer inniger und kostbarer. Sorgsam versucht der Vater, die schwere Last von seinem Sohn fernzuh

NowhereSpecial Filmstill1 Copyright Limited Photo Peter Marley
Ein gemeinsames Leben auf Zeit

Schönheit der Menschlichkeit


Wie erzwungen, aufgesetzt, absichtsvoll Filme oft daherkommen, wenn sie uns wichtige Botschaften vermitteln wollen! Völlig anders ist es bei «Nowhere Special»! Uberto Pasolini und dem ganzen Team ist es gelungen, uns das Gefühl zu vermitteln, aus nächster Nähe einem Drama beizuwohnen. Die ganze Filmlänge sind wir umgeben von einer wunderbaren Menschlichkeit, einer menschenfreundlichen Schönheit. Bild, Ton, Bewegung, Gesten, Mimik, jeder Musikeinsatz und Schnitt vermitteln die gleiche, uns gefangennehmende Botschaft.

Wenn man angesichts dieses Films von «schön» und «menschlich» spricht, so kann man sich auf die Antike berufen, welche «Schönheit» und «Gutheit» im Begriff der «Kalokagathia», der «Schöngutheit» zusammenfasste. Genau diese «Schöngutheit» habe ich in diesem Film von Anfang bis Ende erlebt. Und wenn beim Zuschauen bei einem Vater, einer Mutter oder bei Grosseltern mal Tränen fliessen, spricht das für die Qualität und Authentizität des Films. «Nowhere Special» ist für mich eines der Werke, bei denen ich froh bin, dass es das Kino gibt.


Regie: Uberto Pasolini, Produktion: 2020, Länge 96 min, Verleih: Filmcoopi