Stand up my Beauty

Ich habe einen grossen Traum: Eine berühmte äthiopische Sängerin macht sich im Film «Stand up my Beauty» auf den Weg, mit ihren Darbietungen über das Leben der Frauen zu erzählen. Die Regisseurin Heidi Specogna hat sie begleitet, lässt Mut schöpfen und des herrschenden Patriarchats wegen auch Enttäuschung aufkommen.
Stand up my Beauty

Die Sängerin Nardos Wude Tesfaw

Wer sich an den Film «Cahier Africain» der 1959 in Biel geborenen Regisseurin Heidi Specogna über die in einem Schulheft dokumentierten Verbrechen kongolesischer Söldner an zentralafrikanischen Frauen, Mädchen und Männern erinnert, oder an ihren Film «Pepe Mujica - El Presidente» über den ehemaligen Revolutionär und späteren Präsidenten von Uruguay, ist wohl gespannt auf ihren neuen Film «Stand up my Beauty», dem Porträt der Sängerin Nardos aus Äthiopien – und wird nicht enttäuscht.


Die Sängerin Nardos Wude Tesfaw stammt aus einem Dorf in der Nähe der alten Kaiserstadt Gondar im Norden Äthiopiens, wo die Azmari-Tradition verwurzelt ist. Nardos Vater starb, als sie fünf Jahre alt war. Von klein auf wollte sie Sängerin werden, im Gesang fand sie Trost. Ihre Mutter widersetzte sich der Tradition, Mädchen in frühem Alter zu verheiraten und gab Nardos mit sieben Jahren ihrer Tante nach Addis Abeba in Sicherheit. In der Sonntagsschule erhielt sie ihre erste Gesangsausbildung. Als ihr Talent entdeckt und sie für Auftritte in den lokalen Clubs angefragt wurde, geriet sie in Streit mit ihrer Tante, welche die Tradition vertrat, Musik und Gesang zieme sich nicht für Mädchen und Frauen. Nardos reisst aus und schlägt sich selbstständig durchs Leben.
Auf ihrer Suche nach Geschichten für ihre Lieder spricht die Sängerin mit ihrer Mutter, mit Freundinnen auch schliesslich Gennet, einer Dichterin. Mit ihren Texten rückt sie die Lebenswelten und Visionen der äthiopischen Frauen ins Zentrum ihrer Kreation. Obwohl sie eine gefragte Sängerin ist, bleibt es für sie weiterhin schwierig, mit Musik ihren Lebensunterhalt mit am Schluss drei Kindern zu bestreiten. Um ihr Leben zu finanzieren und sich als Sängerin weiter zu entwickeln, verdingt sie sich wie viele junge Frauen vom Land als Tagelöhnerin auf Baustellen und arbeitet nachts im Culturclub «Fendika», wo sie ihr Programm präsentiert. Dieses entsteht in der Azmari-Tradition aus dem Stegreif, richtet sich nach den Wünschen des Publikums oder thematisiert aktuelle Sorgen und Probleme. Die Texte entstehen in Form der traditionellen äthiopischen Poesie, «Wachs und Gold» genannt, einem Spiel mit Mehrdeutigkeiten und Metaphern, nicht selten auch mit sexuellen Inhalten, handeln von Treue, Verführung und Emanzipation.


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Auftritte im Culturclub «Fendika»

Anmerkungen der Regisseurin und Drehbuchautorin Heidi Specogna



Wie in meinen bisherigen Filmen nimmt «Stand up my Beauty» einen Gedanken, einen losen Faden oder eine unbeantwortet gebliebene Frage aus dem vorangegangenen Werk zum Ausgangspunkt der neuen Filmreise. Aus «Cahier Africain» habe ich die Kraft und innere Freiheit getragen, mit der sich die Hauptprotagonistin zum Schluss des Films offenbart: Eine junge afrikanische Frau hat sich trotz Krieg und Trauma eine eigene Vision ihrer Zukunft bewahrt. Diesen Staffellaufstab nimmt Nardos in «Stand up my Beauty» auf. Die Entstehung ihres ersten eigenen Liedes, erzählt mit den Stilmitteln eines dokumentarischen Musicals. Damit beginnt eine über sechs Jahre dauernde Filmreise.

Zu Beginn der Arbeit beschäftigte uns vor allem die Frage der filmischen Haltung. Wie nähert man sich einer fremden Stadt im Umbruch? Addis Abeba, das seine Gestalt bereits während der äusseren Betrachtung quecksilbrig verformt, sich wie eine Krake auszubreiten scheint und dabei rücksichtslos soziale Realitäten schafft. Während der mehrjährigen Recherche- und Drehzeit von «Stand up my Beauty» gibt es ein wiederkehrendes Ritual, uns der Stadt anzunähern: Mit dem Kameramann Johann Feindt suchen wir die immer gleichen sieben Plätze und Kreuzungen auf, richten die Kamera an derselben Position ein und halten in gleicher Brennweite fest, welche Veränderungen sich aus diesem Blickwinkel heraus in der Stadtlandschaft beobachten lassen. Frischer Beton, der sich über altes Gemäuer stülpt, ein Wald, der über Nacht abgeholzt worden ist, Häuser und Hütten, die sich in Staub aufgelöst haben und über denen die Frage schwebt: Wohin sind ihre ehemaligen Bewohner verschwunden?

Später, am Schneidetisch montiert Kaya Inan aus diesem Material die Sequenzen, die wir «Lauf der Zeit» nennen, eine Montage aus Überblendungen, die «Zeit» in verschiedenen Dimensionen sichtbar macht: Die Beobachtung einer alten, gebückten Frau, die mit über Jahrzehnte eingeübten Handgriffen ein schweres Bündel Reisig auf ihren Rücken wuchtet. Bäume, die, eben gerade gefällt, nun als biegsame Baugerüste an chinesischen Wolkenkratzern hochgezogen werden. Gähnende Brachlandschaften, die fragile Flüchtlingsunterkünfte aus Holz und Planen verschluckt haben. Eine Schlange junger Arbeitssuchende, die sich im Moloch Addis Abeba verflüchtigt, wohin bleibt offen.

Im weiteren Arbeitsprozess kreiert der Filmmusiker Hans Koch zu diesen Bildmontagen eine musikalische Haltung: Seine Klarinette stromert durch die von harten Gegensätzen zerklüftete Stadtlandschaft und setzt sich in Dialog mit dabei eingefangenen Tönen und zugeflogenen Geräuschen. Der dabei entstehende, durch virtuoses Sounddesign unterstützte atmosphärische Klangteppich durchwirkt die ineinander geschichteten Bildmontagen und verleiht ihnen eine eigene Stimme. Die dokumentarische Begleitung der Entstehungsgeschichte von Nardos‘ erstem eigenen Lied webt sich in diese Montagestruktur ein und wird zum roten Faden des Films. «Ich habe einen grossen Traum», sagt Nardos Wude Tesfaw, zu Beginn des Films. Die Sängerin träumt davon, eigene Lieder zu schreiben und vorzutragen, Lieder, welche den Lebensrealitäten ä̈thiopischer Frauen Gehör verschaffen. Sie sammelt Fragen und begibt sich damit auf eine Reise. Zeile für Zeile schreiben sich die Alltagsbegegnungen mit Frauen und Mädchen in ihre erste eigene Komposition ein. Sie ist eine gute Zuhörerin, die Gesprächspartnerinnen vertrauen und erzählen ihr bereitwillig, auch wenn die Themen schwer sind. Im Laufe des Films entstehen so die Fragmente eines Liedes, das zu Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aufruft und Mädchen und Frauen auffordert, sich der sie benachteiligenden Tradition selbstbewusst in den Weg zu stellen. Ihrem ersten Lied verleiht sie den Titel «Stand up my Beauty».

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Aus den Gesprächen mit andern Frauen entstehen Nardos' Lieder


Schönheit in der Hoffnungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit im Schönen

 

Heidi Specogna nähert sich mit Empathie und Hintergrundwissen der Protagonistin Nardos, den andern Frauen und der uns fremden Kultur, in der sie leben. Die Geschichte steuert auf eine wachsende Frauenemanzipation hin, erfüllt von Mut und Kraft, unterstützt von Lust und Humor. Sie entwickelt sich, indem der Film die Bereiche Arbeit, Geld, Kinder, Liebe, Männer, Musik ausleuchtet. Wobei teils unterschwellig, teils offensichtlich Männerdominanz, Geschlechterungleichheit und Männerstrukturen als Ausdruck eines versteckten oder offenen Machismo aufscheinen, was vom Christentum kaum wirksam bekämpft wird.

In der sorgfältigen und einfühlsamen Annäherung an das Leben der Protagonistinnen wird die Hoffnung und Poesie von «Stand up my Beauty» erlebbar, durch den kritischen Blick von Heidi Specogna gleichzeitig die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit der Frauen dieser Region erahnbar. Der Autorin gelingt es, in einem tiefen existenziellen Sowohl-als auch, Schönheit in der Hoffnungslosigkeit und Hoffnungslosigkeit in der Schönheit zu zeigen und zur Diskussion zu stellen – womit die Aussagen des Films nicht nur für Nardos, die andern Frauen und Mädchen in Äthiopien und im übrigen Afrika, sondern in der ganzen Welt gültig sind.

PS:

Am 12. Februar meldete Hollywood, dass «Ala Kachuu», ein Kurzfilm der jungen Schweizer Regisseurin Maria Brendle, für den Oscar nominiert wurde. Der Film behandelt die Tradition des Brautraubs in Kirgistan, ein Thema, das auch im Hintergrund in «Stand up my Beauty» von Heidi Specogna präsent ist, diesmal in einem andern Kontinent.

Regie: Heidi Specogna, Produktion: 2021, Länge: 110 min, Verleih: Filmcoopi