The Happiest Man in the World

Der Reigen von Sarajevo: Asja, eine Frau um die Vierzig, geht zu einem Speed-Dating, um die Liebe zu finden. Dort trifft sie Zoran, der auf Vergebung für seinen Kriegseinsatz hofft. Die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska bietet mit «The Happiest Man in the World» trockenen Humor, heilsame Verunsicherung, eine Katharsis und aussergewöhnliches Schauspiel. Ab 23. März im Kino
The Happiest Man in the World

Die Gäste des Speed-Datings

In ihrem Spielfilm «God Exists, Her Name is Petrunya» hat die mazedonische Filmemacherin Teona Strugar Mitevska die Mannsbilder ganz schön vorgeführt und gezeigt, wie die Religion, und über sie die Politik sich männlich entwickelt, männlich gebärdet und am Anfang der meisten Kriege steht. Zusammen mit ihrer Drehbuchautorin Elma Tataragić hat sie in «The Happiest Man in the World» ein turbulentes Speed-Dating über sensible Unwägbarkeiten der Liebe sinniert und die verdrängten Wunden der Menschen im Balkan offengelegt.

Zwei freundliche Moderatorinnen empfangen die Männer und Frauen, die sich auf der Suche nach Liebe eingefunden haben. Unter ihnen Asja und Zoran, beide in den Vierzigern. Sie werden an die Tische im «Salon Zürich» einer Geschäftshotelanlage gesetzt, um zunächst Fragen zum Leben, zu Hobbys und Religion zu beantworten und sich kennenzulernen. Doch bald wird klar, in diesem Raum der Zweierkonstellationen gibt es keine Sicherheit. Jeder Augenblick birgt neue Überraschungen. Jelena Kordić Kuret und Adnan Omerović verkörpern die beiden Hauptfiguren gänsehautintensiv. Überhaupt sind die Teilnehmenden bis in die kleinsten Rollen brillant besetzt. Teil der Inszenierung von Teona Strugar Mitevska, 1974 geboren, ist die mitspielende Kamera von Virginie Saint Martin, die jedes Wimpernzucken sichtbar macht und mitwirkt am Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

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Asja, die auf die grosse Liebe hofft


Die Begebenheiten, die dem Film zugrunde liegen

(Alle Zitate sind Ausschnitte aus einem Interview mit der Regisseurin, das im Anhang integral wiedergegeben ist.)

«Die Drehbuchautorin Elma wurde während der Belagerung von Sarajevo verletzt. Nach dem Krieg traf sie in einem Workshop an der Filmakademie auf dem Täter von damals. Sie wurden aufgefordert, über die schlimmsten Dinge zu sprechen, die ihnen widerfahren waren. Ihr Zusammentreffen war Zufall, doch sie blieb mit dem Mann im Kontakt, obwohl die Begegnung bei ihr sehr widersprüchliche Gefühle auslöste.

Vor acht Jahren erzählte mir Elma, dass sie gerne etwas mit dieser Geschichte machen würde. Drei Jahre später war ich mit meiner Schwester Labina am Filmfestival Sarajevo, wo wir im berühmten Hotel Holiday Inn logierten, diesem grossen gelben Bauwerk, das während der Belagerung einst eine zentrale Rolle spielte. Wir sassen in der Halle und ich erzählte ihr Elmas Geschichte. Labina schlug vor, die Erzählung hier anlässlich einer Art von Kongress zu inszenieren.»

Director's Statement


Was definiert uns: unsere ethnische Zugehörigkeit, unsere Religion, unser Geschlecht? Was trennt oder eint uns? «The Happiest Man in the World» ist eine Geschichte über die Unberechenbarkeit des Lebens, zufällige Begegnungen, die Täter und Opfer zusammenbringen und die schmerzhafte Vergangenheit wieder aufleben lässt; eine Geschichte über unmögliche Verbindungen, Liebe und die Absurdität. Der Film beginnt als humorvoller Ausflug und entwickelt sich zu einer emotionalen Berg- und Talfahrt.

Der spontane, ursprüngliche Rhythmus ist entscheidend und eng verbunden mit der Art, wie Menschen nach erlittener Gewalt nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen. Ich sehe diesen Film als eine Symphonie orchestrierter Bewegungen, die Schicht um Schicht Emotionen freilegen, die den Zuschauer langsam in einen schwindelähnlichen Zustand versetzen. Die Schauplätze sind von wesentlicher Bedeutung: ein Hotel im Stil der 80er-Jahre, ein Zeuge der Architektur Ex-Jugoslawiens: Brutalismus oder Modernismus. Und dann ist da noch Sarajevo, die geschundene Stadt, Zeugin von offenen Wunden und des erlittenen Schmerzes.

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Zoran (M), der auf eine Versöhnung wartet

Asja und Zoran: damals, heute und morgen


«Wie wird es Asja nach diesem Tag ergehen? Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht: Ich möchte Ihnen etwas sehr Persönliches erzählen. Elma ist 46 Jahre alt. Sie versuchte, viele Jahre lang schwanger zu werden, machte sämtliche Untersuchungen, es gab äusserlich keinen Grund, warum sie kein Kind bekommen konnte, irgendwann gab sie es auf. Doch kaum waren wir mit dem Drehbuch fertig, wurde sie schwanger. Ich habe immer noch Gänsehaut, wenn ich darüber rede, als ob das Loslassen der schweren Belastung, die sie in sich trug, ihr eine Zukunft ermöglicht hat.» – Als witzigen Vergleich verweise ich auf eine ähnliche Szene in «Les Enfant des Autres» von Rebecca Slotowski.

«Was sollen wir von Zoran halten? Auch er ist ein Opfer seiner Umstände und ein trauriger Mann. Ich zeigte den Film einigen Leuten aus Sarajevo, und es war eine echte Herausforderung für sie, weil der Film sie dazu brachte, die andere Seite zu sehen: Zoran ist der Erzfeind, und doch kann man Mitleid mit ihm haben. Ich bin erstaunt über Elmas Fähigkeit, diesen Mann zu verstehen. Dass sie vergeben kann, ist ein Beweis für die unglaubliche Grosszügigkeit des menschlichen Wesens. Zoran wuchs als Opfer der Geschichte auf, als Opfer des männlichen Egos, denn für mich war der Krieg in Jugoslawien eine Sache übersteigerter Egos, ein unnötiger Krieg aufgrund männlicher Absurdität.»

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Zoran und Asja spielen ihre Vergangenheit

Von Tristesse zu Happyness


«Sie vermitteln im Film den Eindruck, dass ein Krieg nicht beendet ist, solange Schmerz, Verlust und Trauma nicht geheilt sind. Bosnien ist immer noch verletzt und tief gespalten. Das Dayton-Abkommen machte es unmöglich, das Land zu regieren. Dreissig Jahre später leben Bosnierinnen und Bosnier immer noch mit dem Krieg. Eine menschliche Tragödie, die uns alle angeht. Mein Film stellt die Frage: Wann ist ein Krieg zu Ende, wann wird die Erinnerung daran verschwinden, und können Traumata jemals überwunden werden? Ich hoffe, Europa hat aus dieser Erfahrung gelernt, wir werden nicht dieselben Fehler mit der Ukraine machen.

Sie haben diesen Film als Choreografie zwischen zwei Menschen inszeniert, die sich begegnen, voreinander fliehen und erneut zusammentreffen. Manchmal umringt von einem Chor anderer Menschen. Jeder Film ist ein Zusammenspiel von Geschichte, Umgebung, thematisierter Erfahrung, Kamerabewegungen, Figurenentwicklung, Cadrage, Farbe, Ton und Regieführung. "The Happiest Man in the World" spielt an einem einzigen Ort, in einem Hotel, das im Stil des Brutalismus gebaut wurde. Ich stand vor der grossen Herausforderung. Während acht Monaten castete ich in Bosnien und der Republik Srpska. Ich wusste, dass es ein Ensemble-Film würde und dass ich ihn wie ein Puzzle angehen musste, bei dem jedes Stück seine elementare Bedeutung hat. Eine Figur konnte nicht ohne den Rest funktionieren und umgekehrt. Sie liessen uns das Chaos ordnen und Raum für Improvisationen schaffen; dabei kommen auch gewisse Wahrheiten zutage, die nicht selbstverständlich sind. Die gesamte Besetzung war immer einsatzbereit am Set und folgte dem Motto: Suche nicht nach der Kamera, die Kamera wird dich finden.»

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Asja im u20-Club


Vom Anschauen über eine Katharsis zum Weiterdenken


Nehmen wir die Geschichte dieses Films, die Teona Strugar Mitevska grossartig dramatisiert und wunderbar choreografiert hat, als zeitloses Welttheater auf der Vorderbühne (Erving Goffman) wahr und erblicken dann auf der Hinterbühne die Tragödie, die sich aktuell in Südosteuropa abspielt – dann stellen sich einige beunruhigende Fragen: Wie können wir eine gemeinsame Zukunft schaffen, wenn wir ignorieren, was passiert ist? Wann werden wir lernen, das zerstörerische Potenzial solcher Kriege theoretisch und praktisch zu vernichten? Denn die meisten solcher kriegerischen Aktionen sind doch, so meine Meinung, ein Ergebnis übersteigerter Egos aufgrund männlicher Absurdität.

Interview mit Teona Strugar Mitevska

Regie: Teona Strugar Mitevska; Produktion: 2022, Länge: 95 min, Verleih: trigon-film