Tanzträume - Jugendliche tanzen «Kontakthof» Pina Bausch

Im Tanz sich selber werden

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Vermehrt melden sich In letzter Zeit die Vertreter der Wirtschaft und gefordert von der Schule, die Jugendlichen besser auf die Wirtschaft vorzubereiten. Solche Forderungen sind nicht falsch, in der Verabsolutierung jedoch einseitig und letztlich unmenschlich. Denn die Schule hat, was die Pädagogik seit Jahrhunderten fordert, auch das Ziel mitzuhelfen, die Persönlichkeit der jungen Menschen harmonisch zu entfalten. – Solches wird einem eindrücklich vor Augen geführt im Film «Tanzträume – Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bauch», der jetzt in den Kinos läuft.

Vierzig Schülerinnen und Schüler von 14 bis 18 Jahren haben in Wuppertal das Tanztheater «Kontakthof», einen Klassiker der Choreographin Pina Bausch, aufgeführt. Fast ein Jahr lang haben sie auf dieses Ziel hingearbeitet und sich dafür wöchentlich getroffen. Anne Lisel und Rainer Hoffmann haben diese Arbeit in einem wunderbaren Film dokumentiert.

Darin wird die Entwicklung der jungen Tänzerinnen und Tänzer von körperlicher Ungeschicklichkeit und Unsicherheit bis hin zur choreographischen Perfektion nachgezeichnet. Die Themen des Stückes, die Suche nach Liebe und Zärtlichkeit, aber auch die damit verbunden Enttäuschungen und Aggressionen, haben die jungen Menschen in hohem Masse gefordert. Für viele von ihnen war die Auseinandersetzung damit eine vollkommen neue Erfahrung. Die tänzerische Umsetzung und die Interaktion mit dem andern Geschlecht waren eine Herausforderung, aber auch Bereicherung.

An ihren Aufgaben sind die Jugendlichen gewachsen, als einzelne und als Gruppe. Trotz Altersunterschieden, verschiedenen Schulformen und Nationalitäten haben sich aus der bunt gemischten Schar der ersten Probewochen allmählich eine feste Gemeinschaft und viele Freundschaften entwickelt. Die Kids sagen über sich selbst, sie seien durch diese Arbeit selbstbewusster, selbständiger und skeptischer gegenüber Vorurteilen geworden. Der Choreographin war es wichtig, die Jugendliche zu ermuntert, «sich selbst zu sein» – sich selbst zu werden, möchte man ergänzen – und ein Stück zu erarbeiten, in dem sie sich, ihre Ängste, Hoffnungen und Träume hinter ihren Bewegungen aufleuchten lassen.

Ähnlich wie hier hat Pina Bausch vor zehn Jahren mit alten Menschen den «Kontakthof», der 25 Jahren früher für Professionelle geschaffen wurde, einstudiert. Der Film «Damen und Herren ab 65» hält dieses Projekt fest. – Unerwartet starb die Choreografin am 30. Juni 2009, noch vor der Premiere des Films «Tanzträume», der die letzten Gespräche mit ihr festhält.

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Pina Bausch (links) mit Mitarbeiterin

«In der Kultur der Worte wurde unser Körper als Ausdrucksmittel nicht voll gebraucht und darum hat er auch seine Ausdrucksfähigkeit verloren, ist unbeholfen, primitiv, dumm und barbarisch geworden», schrieb einst der ungarische Filmtheoretiker Béla Balász und meinte, dass die Gesellschaft zusätzlich zur Wort-Kultur noch eine andere brauche: die Kultur des Körpers, der Sinne, der Gefühle, der Sinnlichkeit. In einem Projekt wie dem hier dokumentierten können die Jugendlichen in diese andere Kultur hineinwachsen. Sie erleben Erfolge und Misserfolge und kommen gelegentlich an ihre Grenzen. Doch angefeuert durch die Leiterinnen, aufgehoben in der Gruppe und bestätigt durch allmählich sich einstellende Teilerfolge, erfuhren sie Selbstbestätigung und Selbstsicherheit. Sie arbeiteten mit höchster Konzentration, übten die Koordination all ihrer Sinne, Glieder und Bewegungen. Viele wuchsen über sich hinaus. Sie setzten sich in einem kreativen Prozess mit sich auseinander, wagten aus sich heraus zu treten, ausgelassen zu sein, Gefühle wie Angst, Ablehnung, Aggression, Sehnsucht, Zärtlichkeit, Lust, Liebe, Begierde, Freude und Versöhnung zu zeigen. Sie fanden zu sich!

«Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden», schrieb einst der Philosoph Erich Fromm. Etwas von einem solchen fortwährenden Geboren-Werden, Mensch-Werden spürt man bei diesem Projekt kreativer Bildungs- und Erziehungsarbeit. Ob dies nicht auch vermehrt im Alltag der Schule angestrebt werden könnte und müsste