Taxi Teheran

Ein Film-Genie-Streich: Dem Iraner Jafar Panahi ist im dritten unter Berufsverbot realisierten Film «Taxi Teheran» ein bedeutendes Dokument über sein Land gelungen.
Taxi Teheran

Der Taxifahrer und Regisseur, seine Nicht und seine Anwältin

Quizfrage: Was macht ein Filmemacher, wenn ihm das Filmemachen verboten wird? Antwort: Er macht weiter Filme. Genau das machte der 1960 im Iran geborene Jafar Panahi bereits zum dritten Mal. Panahi, der Regisseur und Hauptdarsteller von «Taxi Teheran», wurde 2011 vom iranischen Regime zu sechs Jahren Haft und einem 20-jährigen Berufs- und Reiseverbot verurteilt. Ab dato arbeitete er im Untergrund: 2011 schuf er «Dies ist kein Film», 2013 «Geschlossener Vorhang». Nach den beiden Filmen, so erzählt er, musste er mit seiner Kamera hinaus aus dem Haus, hinein in die Stadt. Er blickte zum Himmel, wo die Wolken schöne Figuren bildeten. Er sagte sich, dass man ihm verboten habe, Filme zu drehen, nicht aber Fotos zu schiessen, also begann er zu fotografieren, ein Jahr lang fotografierte er den Himmel. Dann suchte er in der ganzen Stadt nach Labors, um seine Bilder zu vergrössern. Doch alle lehnten ab.
Seinen neuesten Film «Taxi Teheran» hat Panahi 2014 mit allergrösster Vorsicht und Kreativität gedreht und ins Festival nach Berlin geschmuggelt, wo er verdientermassen den Goldenen Bären erhalten hat. Der Film handelt von seiner persönlichen Situation, der gesellschaftlichen Befindlichkeit des Irans und, so meine ich, vom Zustand unserer Welt, vorgetragen mit berührender Menschlichkeit, stupender künstlerischer Fantasie und in hohem Masse unterhaltsamem Humor. «Ich bin ein Filmemacher. Ich kann nichts anderes als Filme machen. Mit Kino drücke ich mich aus, es gibt meinem Leben einen Sinn. Nichts kann mich am Filmemachen hindern. Ich muss unter allen Umständen weiter Filme machen, um der Kunst Respekt zu erweisen und mich lebendig zu fühlen», schreibt der vom reaktionären und fundamentalistischen Staat verfemte und von der aufgeklärten Weltöffentlichkeit bewunderte Regisseur, der in Venedig, Berlin, Locarno, Valladolid für sein Werk Hauptpreise und den Sacharow-Preis erhalten hat.

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Ein sonderbarer Mitfahrer und eine Lehrerin

Im Taxi die Wirklichkeit kennenlernen

Eines Tages, ausweglos und enttäuscht, nicht weiter arbeiten zu können, bestieg er ein Taxi. Zwei Gäste diskutierten dort laut miteinander. Da kam ihm die Idee: Nicht Filmemacher, nicht Fotograf musste er sein, sondern Taxifahrer, um die Geschichten der Passagiere, also seiner Mitmenschen, zu erfahren und festzuhalten. Wenn seine ersten Filme in der Stadt handelten, so wollte er jetzt versuchen, die Stadt in sein Taxi einzuladen. Tag für Tag fuhr er mit dem Taxi und hörte neue Geschichten, einzelne waren ihm bekannt, andere nicht. Die Mitfahrer sprachen über ihre Probleme, täglichen Schwierigkeiten, aber auch glückliche Momente ihres Alltags. Dann nahm er sein Handy und begann zu filmen. Doch bald begriff er, dass er keinen Dokumentarfilm drehen könne, ohne die Gäste in Gefahr zu bringen. Sein Film muss also die Form einer Doku-Fiction haben. Er schrieb ein Szenario und reflektierte, wie er dieses auf die Leinwand bringen könne. Er experimentierte mit verschiedenen Kameras, schliesslich entschied er sich für drei schwenkbare innerhalb des Autos.

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Zwei abergläubische alte Damen

Teheran ins Taxi geladen

Nach einer langen Einstellung aus einem stehenden Auto auf den Strassenverkehr, beginnt dieses als Taxi durch die farbenfrohen Strassen der pulsierenden Stadt Teheran zu fahren. Die unterschiedlichsten Menschen steigen ein und aus. Der Fahrer spricht mit den Passagieren, häufiger sprechen sie mit ihm, sagen offen und unverblümt, was sie denken. Da ist ein Raubkopierer von Hollywood- und Arthouse-Filmen. Ein Nachbar, der einen Verbrecher nicht anzeigt, weil er selbst keine ganz saubere Weste hat. Es steigt die ehemalige Anwältin des Regisseurs, Nasrin Sotoudeh, der heute selbst ein Berufsverbot droht, mit roten Rosen in den Wagen. Dann zwei abergläubische Alte, die Goldfische zu ihrer Quelle zurückbringen müssen, um ein persönliches Unglück abzuwenden. Das Taxi kommt zu einem Unfall und lädt den schwer verwundeten Mann ein, der den Fahrgästen sein Testament ins Handy diktiert. Auch Hanna, die kleine Nichte des Fahrers, die für die Schule einen Film drehen soll, wird abgeholt und verwickelt sich mit ihrem Onkel in einen Disput, was beim Filmen geboten, was verboten ist. Der Fahrer, einige erkennen ihn, ist der Filmregisseur Jafar Panahi. Während der teils dramatischen, teils heiteren Szenen wird politisiert und gescherzt.

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Jafar Panahi (vorne) und der Raubkopierer

Kreativ, die Herstellung wie der fertige Film

Im ersten Blick scheinen die Szenen in «Taxi Teheran» spontan, authentisch, dokumentarisch. Doch beim zweiten Hinschauen merkt man, dass alles inszeniert ist, dass alle im Sinne Jafar Panahis reden und handeln. Zu gut komponiert ist der Aufbau und der Ablauf, zu durchdacht die Bilder, zu sorgfältig die Bezüge von Sequenz zu Sequenz, zu klug die mehr und weniger versteckte Kritik an der kulturellen und politischen Situation im heutigen Teheran – und ich meine, in der übrigen Welt. Der neue Film ist Teil eines grossen Katz- und Mausspieles, welches der Regisseur seit Jahren spielt. Es besteht aus Spiegelungen seiner eigenen Lage, aus Reflexionen der Befindlichkeiten der Menschen im Land – und ist gleichzeitig eine Parabel der tragischen Suche nach der Wahrheit einer Welt, die diese gar nicht wahr haben will. Erzählt wird dies ohne eine Spur von Verbissenheit und Verbitterung, in einer abgeklärten Leichtigkeit, ja lächelnden Heiterkeit.
Allein schon die Entstehung des Filmes ist ein Erlebnis der besonderen Art. Jeden Abend machte er den Rohschnitt der Aufnahmen des Tages zu Hause, erstellte davon ein Backup und lagerte dieses auf verschiedenen Computern. Beim Ende des Drehs hatte er das Konzept des Films im Grossen und Ganzen auf seiner Festplatte. Die Originale der verschiedenen Kapitel waren in verschiedenen Städten abgelegt, so dass Panahi beruhigt an den Feinschnitt gehen konnte, ohne fürchten zu müssen, die Originale werden ihm gestohlen. Die Dreharbeiten dauerten ab 27. September 2014 insgesamt vierzehn Tage. Der Film kostete etwa 32.000 Euro. Die Equipe akzeptierte ein reduziertes Salär, die meisten verzichteten auch darauf. Die Akteure sind alles Nichtprofessionelle, Bekannte und Bekannte von Bekannten. Die kleine Hana, die Advokatin Nasrin Sotoudeh, der DVD-Verkäufer Omid spielen ihre eigenen Rollen. Der Student ist sein Neffe, die Lehrerin die Frau eines Freundes, der Dieb der Freund eines Freundes, der Verwundete kommt aus der Provinz.