The Clock

Uhr oder Zeit? Vom 24. August bis 2. September präsentiert das Kunsthaus Zürich erstmals und exklusiv in der Schweiz das 2011 an der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Werk «The Clock» des Amerika-Schweizers Christian Marclay.

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In London, New York und in Venedig stand das Publikum Schlange, um diese 24-stündige Videoarbeit zu sehen, die das Kunsthaus Zürich nun auch erworben hat. Die technisch anspruchsvolle, vom Künstler detailliert vorgegebene Präsentation läuft nur für kurze Zeit! – Titelbild: Still aus Christian Marclay, The Clock, 2010, Videoprojektion, © Christian Marclay, Courtesy White Cube.

Gemäss begeisterter Ankündigung

Unterstützt von einem halben Dutzend Assistenten durchforschte Marclay mehrere Jahre lang die Filmarchive nach Uhren und zum Thema Zeit. Und er wurde fündig in amerikanischen, europäischen, russischen und asiatischen Melodramen, Krimis, Western, Historienfilmen, Musicals und Komödien. Das Resultat: eine Videocollage mit Tausenden von Clips aus Tausenden von Filmen. «The Clock» hat die Zeit und die Uhr nicht nur zum Thema; die Arbeit selbst ist ein Zeitmesser. Synchronisiert mit der lokalen Realzeit, zeigt sie 24 Stunden lang jede Minute eine Einstellung aus einem anderen Film mit einer Armbanduhr, Taschenuhr, Turmuhr, einen Wecker usw., welche die jeweils aktuelle reale Ortszeit anzeigt. Sean Connery, Tom Cruise, Marilyn Monroe und viele andere kämpfen mit der Zeit, rennen gegen sie an, warten, dass die Zeit vergeht. Und wie im Leben, ist das manchmal quälend langsam, manchmal grausam hektisch im Verfliessen der Minuten in ungezählten menschlichen Geschichten eingebaut.

Auch das Publikum soll Zeit mitbringen und die Vorführung unter optimalen Bedingungen geniessen. In bequemen Dreiersitzen oder stehend finden jeweils gegen hundert Personen gleichzeitig in einem Kunsthaussaal Platz. Das Werk kann zum regulären Eintritt während der allgemeinen Öffnungszeiten angeschaut werden. Von Freitag, 31. August, ab 10 Uhr, bis Samstag, 1. September, 18 Uhr, wird das ganze 24-stündige Werk gezeigt.

Einwand eines enttäuschten Besuchers

Eine Collage ist dieses Video, heisst es. Collagen bestehen bekanntlich aus einem Nebeneinander oder (bei einem in der Zeit ablaufenden Medium) ein Hintereinander von Bildern, Szenen, Sequenzen. Ihr emotionales oder intellektuelles Vergnügen wächst aus dem Aufeinanderprallen von zwei Ideen, aus welchen ein neues Werk entsteht. Bei Christian Marclay entsteht, so sehe ich es, hier lediglich aus der Szene von 17:15 und 17:16 die Szene 17:17. «The Clock» ist, das sei eingestanden, eine immense Fleissarbeit, doch ohne eigene Idee oder Botschaft. Ich habe in diesem Werk kaum etwas Neues über das Phänomen, das Geheimnis der Zeit erfahren, was ich nicht schon von den Grossmeistern der Filmkunst aus Asien, Russland, Afrika und Europa kenne, erfahren habe. Wenn das Publikum gelegentlich gelacht hat, war dies in der Komik einer Szenen begründet, nicht in der Neuschöpfung einer neuen Idee, Aussage, Botschaft. In diesem Werk ein Dimensionen sprengendes «Memento mori», ein Mahnmal der Zeit zu sehen, scheint mir etwas hoch, d. h. daneben gegriffen, auch wenn der Künstler von «Time Magazin» zu den «100 einflussreichsten Menschen der Welt» gezählt wir.

Ich habe das Gefühl, in diesem hochgejubelten und prämierten «Meisterwerk» wurde «Clock» mit «Zeit» verwechselt. Einzelne Szenen müssten, um beispielsweise Langeweile auszudrücken, viel länger gezeigt werden. «Die Popularität seiner Über-Uhr amüsiert und nervt ihn (Christian Marclay) in einem: Es belustigt ihn, dass man ihn für ein Kunstwerk feiert, das im Kern alles beinhaltet, was im allgemeinen Kunstverständnis nicht sein dürfte – „The Clock“ ist ein reines Vergnügen», schreibt Anuschka Roshani im Tagesanzeiger-Magazin. Doch das reicht mir nicht. Wer etwas Wesentliches über die Zeit erfahren will, wird weiterhin andere Werke der Siebten Kunst anschauen oder Philosophen wie Platon, Aristoteles, Augustinus, Leibniz, Kant, Bergson, Heidegger oder vielleicht auch «Die Zeit, die Zeit» des Erfolgsautors Martin Suter zu lesen.

Einwand gegen den Einwand

Doch nehmen Sie bitte auch meine Meinung nicht als die Wahrheit zum Thema Zeit, sondern als eine aktuelle, persönliche, subjektive Meinung. Gehen Sie hin und bilden sich Ihre eigene Meinung. – Kommentare auf dieser Seite sind willkommen.

Gerne erinnere ich mich in einer solchen Situation an einen Satz von Dschaelal ed-din Rumi, einen Sufimeister aus dem 13. Jahrhundert, der einmal schrieb: «Die Wahrheit ist ein Spiegel, der vom Himmel gefallen ist, er ist in tausend Stücke zersplittert, jeder besitzt einen kleinen Splitter und glaubt, die ganze Wahrheit zu besitzen.»

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