The Monk and the Gun
Vorspann: «Königreich Bhutan, 2006. Es bahnt sich ein Wandel an. Endlich haben auch TV und Internet Einzug gehalten, und nun macht der (damals 51jährige) König dem Volk das allerschönste Geschenk. Das Recht, die Regierung selbst zu wählen. Doch die Menschen haben keine Erfahrung mit demokratischen Prozessen, und es ist an der Regierung, diesen ihnen näherzubringen.»
Vom Bruttonationalglück …
Dass die vom Staat verlangten und von CNN, BBC und Al Jazeera beobachteten Wahlen in Bhutan Erfolg haben, werden landesweite Testwahlen durchgeführt, bei denen die «Blauen» für Freiheit und Gleichheit sind, die «Roten» sich für industrielle Entwicklung stark machen und die «Gelben» die Wahrung der Werte auf die Fahne geschrieben haben. Doch vor lauter Farben wissen die Menschen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Denn nach langer Zeit der absoluten Monarchie ist die Bevölkerung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert erstmals zum Wählen an der Urne gerufen.
Dafür geht die Leiterin der Wahlkommission, Tshering Yangden, ins Bergdorf Ura, wo auch der Lama lebt. Dieser wünscht sich bis zum nächsten Vollmond ein Gewehr und beauftragt dafür seinen Schüler Tashi, ein solches zu besorgen. Denn «Die Dinge müssen wieder in Ordnung kommen.» Anders sieht es die Beraterin: «Demokratie ist die Krönung des Bruttonationalglücks.» Mit diesem Projekt aber gibt in der Bevölkerung Bewegung, beginnen landesweite Auseinandersetzungen: «Warum bringt ihr uns bei, wie man streitet? Wir sind nicht so».
Tashi auf dem Weg nach Ura
… zum Bruttosozialprodukt
Zur gleichen Zeit landet aus Ronald Coleman im Land. Er besuche buddhistische Tempel, heisst es, in Wirklichkeit sucht der amerikanischen Waffensammler eine seltene historische Waffe, die er hier zu finden hofft. Gleichzeitig kündigt auch der Lama ein Ereignis an und will eine besonders wichtige Zeremonie durchführen, und dies am Wahltag.
Die drei Ereignisse laufen gleichzeitig, sie nähern und entfernen und verschränken sich, erzeugen turbulente und verwirrende Zusammentreffen. Bei uns Zuschauenden melden sich Vermutungen, gibt es Überraschungen, gelegentlich ein kleines Tohuwabohu, was bestens unterhält und zum Nachdenken anregt, am Anfang gemütlich, gegen Schluss hektischer.
Auf der Fahrt zur Zeremonie des Lama
Pawo Choyning Dorjis cineastisches Doppelpack
Aus der abgelegenen Ecke der Welt, vom höchstgelegenen Schulhaus am Himalaya, erzählte Pawo Coying Dorji in seinem Erstling «Lunana» die berührende Geschichte von Kindern, die vor Glück strahlen, weil sie eine Schule haben. Der Film holte sich zahlreiche Preise, die Nominierung für einen Oscar und ein begeistertes Publikum, auch bei uns.
Dieser Erfolg hat Dorji ermutigt, den zweiten Film zu drehen. Auch «The Monk And The Gun» hat ein Dutzend Festivalpreise und eine Oscar-Nominierung erhalten. Er erzählt, authentisch und glaubwürdig, humorvoll und klug, die Geschichte von einfachen Menschen, weit weg von der grossen Welt, eine «Comédie humaine» der besonderen Art, allgemeingültig, obwohl oder vielleicht weil sie aus dem Land stammt, das wegen seiner natürlichen Schönheit, seiner spirituellen Tradition, seiner Isolation von der modernen Welt das «Land des Bruttosozialglücks» heisst.
Das Hin und Her mit den Gewehren
Vom glücklichen Ende eines Tohuwabohus
Die ästhetische Form, mit dem «Der Mönch mit dem Gewehr» vielleicht am besten umschrieben werden kann, ist so etwas wie ein Zopf, aus Teig geknetet oder aus den Haaren einer Frau gedreht: ein Zopf, bei welchem sich drei Stränge verbinden und vereinen, insgesamt eine abwechslungsreiche, harmonische Form bilden und Natur sich mit Kunst vereint.
Der erste Strang bildet sich aus dem Gerangel um die Gewehre, der Regel, dass Waffen in Butan verboten sind, der Frage, warum unser Mönch ein Gewehr besitzen will, und der Fachsimpelei über das spezielle Gewehr aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Der zweite berichtet von den drei zu wählenden Kandidaten, was zu Streitereien in und zwischen den Familien und beinahe zu einem Bürgerkrieg führt. Der dritte umfasst das unterschwellige Duell zwischen dem Waffensammler und dem hoch verehrten Lama, verbunden mit den verborgenen Plänen des Mönchs und den geheimen Absichten Colemans. Viele der Handlungen geschehen im Umfeld eines Stupas, eines Symbols des Buddhismus.
Auf dem Weg zum Wählen
Anmerkungen des Regisseurs
Alfio Di Guardo, trigon-Magazin Nr. 99
«Einer der Hauptgründe, warum mir diese Geschichte am Herzen liegt, ist, dass ich der Welt zeigen und meine Landsleute daran erinnern wollte, wie einzigartig die Umstände waren, die zur Öffnung und Modernisierung Bhutans führten. In der modernen Geschichte hing die Existenz des kleinen Bhutan von seiner Fähigkeit ab, unbedeutend zu bleiben. Die Politik der Selbstisolierung half Bhutan zu überleben und dem Kolonialismus und dem ausländischen Einfluss zu widerstehen, während seine Nachbarn Tibet und Sikkim ihre Unabhängigkeit verloren.
Als der Rest der Welt Trends der Globalisierung wie Coca-Cola, McDonald's, MTV und Demokratie übernahm, klammerte sich Bhutan hartnackig an die Sicherheitsnetze der Vergangenheit, mit dem König als einziger Autorität und den 2500 Jahre alten Lehren Buddhas als Wegweiser für das eigene Leben. Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters beschlossen die Bhutanerinnen und Bhutaner, das Internet, Mobiltelefone und Kabelfernsehen zu meiden, um ihre eigene einzigartige Lebensweise zu schützen.
Doch Mitte der 2000er Jahre, zu der Zeit, in der der Film spielt, sah sich Bhutan in seiner Existenz bedroht, da es sich in einer digitalisierten, politisierten Welt abgehängt sah. Ich dachte mir, dass dies eine grossartige Kulisse für die Geschichte von «The Monk and the Gun» wäre: Eine Zeit, in der Bhutan das letzte Land der Welt war, das ans TV-Netz angeschlossen wurde und das Internet erlaubte, und vermutlich eines der wenigen Länder, in dem ein demokratisches System nicht durch eine Revolution herbeigeführt werden musste, sondern ein König freiwillig abdankte, damit sein Land und sein Volk seinen eigenen, ganz besonderen Platz in der Welt finden konnten.»
Abspann: «Am 24. März 2008 fanden in Bhutan die ersten demokratischen Wahlen statt und sie vollendeten eine beispiellosen friedlichen Übergangsprozess. Seither hat sich das Land der Welt geöffnet und modernisiert, während es weiterhin seinen Platz sucht in einer Welt des steten Wandels.»