The Room Next Door

Eine Freundschaft als Sterbehilfe: Der spanische Meisterregisseur Pedro Almodóvar bringt uns in seinem Film «The Room Next Door» die zwei Stars Tilda Swinton und Julianne Moore nahe, die uns wiederum Anteil nehmen lassen am Sterben von Martha und der freundschaftlichen Begleitung durch Ingrid: mutig, eindrücklich, vielschichtig und anregend.
The Room Next Door

Tilda Swinton und Julianne Moore (v. l.)

 

«The Room Next Door», basierend auf einem Roman von Sigrid Nunez, handelt von zwei über 60-jährigen Frauen, gespielt von der Oscarpreisträgerin Tilda Swinton, im Film Martha, unheilbar an Krebs erkrankt, früher Kriegsreporterin sowie der Oscarpreisträgerin Julianne Moore, im Film Ingrid, erfolgreiche Schriftstellerin. Martha wünscht sich, dass Ingrid sie bis zum Sterben begleitet. «Der Krebs kann mich nicht kriegen, wenn ich ihm zuvorkomme», meint sie, doch nur wenn ihre ehemals beste Freundin sie unterstützt.

 

Damit beginnen die beiden in Körperlichkeit und Weiblichkeit komplementären Figuren einen freundschaftlichen Pas de deux, zuerst in New York, dann auf dem Land, gedreht im spanischen Architekturdenkmal Casa Szoka. Trotz der Schwere des Themas spielt es in einer heiteren Umgebung in klarer Geometrie und kombiniert mit floralen Mustern: gelebte Freundschaft und Vergänglichkeit, bei Almodóvar meist verkörpert von Frauen, «seinen» Frauen, wie hier Tilda Swinton und Julianne Moore.

 

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Ingrid und Martha

 

Ein starkes Alterswerk

 

«Ich wollte einfach kontroverser, strenger, emotionaler, überhaupt nicht melodramatischer sein», meint der 75-jährige Meister zahlloser Frauenporträts. Entstanden ist auch diesmal ein echter, typischer und reifer «Almodóvar», vergleichbar mit andern Filmen seines mehr als zwei Dutzend Titel umfassenden Oeuvres. 2016 mit «Julieta», einem Mutter-Tochter-Drama, oder 2019 mit «Dolor y Gloria», in dem ein Künstler über sein Altern sinniert und so eine fiktive Autobiografie und gleichzeitig eine universelle Meditation erschuf.

 

«The Room Next Door» ist ein Kammerspiel, sein bisher am meisten reduziertes Werk, aber dennoch der Produktdesignerin Inbal Weinberg mit den leuchtenden Grundfarben Blau, Rot und Gelb folgend und in femininer Schönheit schwelgend, ohne das Wesentliche von Almodóvars Welt zu vernachlässigen: Freundschaft, Vergänglichkeit und Tod, immer wieder von Frauen verkörpert. Und so hat er mit seinem ersten englischsprachigen Film in Venedig auf Anhieb den Goldenen Löwen als Hauptpreis gewonnen.

 

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Von dieser Welt heisst es, Abschied nehmen

 

Eine akribische Beschreibung

 

Das Wesentliche des neuen Werkes ist die exakte und dennoch anteilnehmende Beschreibung des konkreten Ablaufs und der psychologischen Entwicklung des Sterbens von Martha und des Dabeiseins von Ingrid. Während die zwei Schauspielerinnen brillieren, hält sich der Regisseur zurück, lässt jedoch die Bilder sprechen, so ein Werk von Edward-Hopper an der Wand, die Raumgestaltung, die ungewöhnliche Architektur bis zur Bemalung der Teetassen und vor allem die Landschaften, welche für ihn erstmals Eduard Grau mit der Kamera eingefangen hat, dezent und dennoch klar als «Paysages d’âme« und musikalisch untermalt von seinem Hauskomponisten Alberto Iglesias.

 

Die audiovisuelle Fülle wird begleitet und vertieft vom Satz des 75-jährigen Filmemachers: «Ich denke, dass jeder vergangene Tag ein Tag weniger ist, den ich noch zu leben habe.» Der Film erzählt also nicht nur von Schmerz und Trauer, sondern auch von Leben und Freundschaft, eingebunden in Empathie und ausgerichtet auf Eigenständigkeit.

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Die Tür ist zu, Martha ist tot

 

Ein Film mit klarer Botschaft

 

Für die 64-jährige Julianne Moore und die 63-jährige Tilda Swinton ist «The Room Next Door» das Leben in seiner ganzen Fülle, auch das Sterben umfassend: «Dieser Film handelt von Selbstbestimmung, von jemandem, der beschliesst, das Leben und das Sterben in die eigenen Hände zu nehmen und beides so gut wie möglich selber zu gestalten.» In einer etwas neuen, kühleren Tonart wird dieses Thema gegen Schluss ausführlich und detailreich beschrieben: in den Dialogen, in denen das Sterben zu einem administrativen, kriminalistischen, juristischen Akt wird, in denen ein Polizist das Verhör macht und eine Anwältin engagiert wird. Auch wenn dies sachlich durchaus verständlich ist, wirkt es psychologisch, stimmungsmässig störend und provokativ. Doch solche Rituale und Reglemente, solches Glauben und Folgen herrschen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden über das Sterben, vielerorts auch noch heute – und verdrängen so das Sterben aus dem Lebenskreislauf, das Sterben als Teil des Lebens negierend.

 

Genau das, meine ich, greift Almodóvar an. Diese Szenen gegen Ende stossen ab, schockieren, auch wenn sie sachlich nachvollziehbar sind, sie passen emotional, menschlich nicht in die Freundschaft und Freude der beiden Frauen, die wir durchleben. Darin besteht wohl die klare Botschaftdieses Films, die über die Geschichte hinaus weist und damit den Film politisch, mehr noch, radikal humanistisch macht. Er stemmt sich gegen die uralten, immer noch verbreiteten Mythen und Gesetze, welche durch ihr Wiederholen nicht besser werden. Danke an das ganze Team der Filmschaffenden für diese wichtige, notwendige Kritik.

Regie: Pedro Almodóvar, Produktion: 2024, Länge: 106 min, Verleih: Monopol Pathé