The Square

Wenn Kunst versagt: Armut und Reichtum, Macht und Ohnmacht, Vertrauen und Kontrolle sind Inhalte der Kunst, die der Film «The Square» von Ruben Östlund launisch unterhaltsam, klug und ätzend durchleuchtet. Der Film erhält am 10.12. 2017 den Europäischen Filmpreis.
The Square

Die Raubtierperformance an der Gala

Christian ist der angesehene Kurator eines Museums für Gegenwartskunst in Stockholm, ein geschiedener, verantwortungsvoller Vater zweier Mädchen, der ein Elektroauto fährt und humanitäre Organisationen unterstützt. «The Square», so der Titel seiner nächsten Ausstellung, ist ein Platz, der als moralische Schutzzone der Solidarität fungieren und das schwindende Vertrauen in die Gemeinschaft hinterfragen soll. Doch manchmal ist es, das zeigt die Geschichte, schwierig, den eigenen Idealen gerecht zu werden. Christians unüberlegte Reaktion auf den Diebstahl seines Handys und eine kontroverse PR-Kampagne für die Ausstellung führen ihn und das Museum in eine Existenzkrise.

Nach seinem letzten Film «Turist» (2014), der erzählt, wie ein Mann Frau und Kinder vor einer herandonnernden Lawine im Stich lässt, begibt sich der schwedische Regisseur Ruben Östlund mit seinem neuen Film «The Square» vom zerbrechlichen Familienidyll in die schillernde Kunstszene, gleichzeitig zu den alltäglichen Schwierigkeiten mit der Solidarität und öffnet in einem satirischen Drama ihre moralischen Falltüren. Der Film unterhält und verwirrt uns, bis wir schliesslich darüber nachzudenken beginnen.

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Christian, der Museumsdirektor auf einer ästhetischen und moralischen Gratwanderung

Kunst und Moral im Dialog

Ruben Östlund zeigt uns in seiner Satire die Herausforderungen des modernen Kunstbetriebes, nimmt dabei die zynischen Medien anständig auf die Hörner, wie auch die zu Hypes hochstilisierten Banalitäten der Kunst. Auch das Kunstbusiness fasst er nicht gerade mit Samthandschuhen an, und die hochgejubelten Superstars werden zur Zielscheibe ironischer Seitenhiebe. In einer lustigen Szene rammt ein Putzmann mit seinem Gefährt versehentlich eine eigenwillige Steinhäufchen-Installation, was das gesamte Improvisationstalent des Museumspersonals herausfordert und uns an den realen Vorfall erinnert, als 2011 eine Reinigungskraft die «Fettecke» von Joseph Beuys wegwischte.

Vereinfacht umschreibe ich jeweils, wenn ich gefragt werde, die Postmoderne, also die Kunst der Gegenwart, als die Kunst, welche dem Kunstzeitalter mit der Schönheit im Mittelpunkt folgt ‑ für welches aktuell die grosse Raffael-Ausstellung in Wien steht ‑ sich zu einem neuen Kunstverständnis wandelte mit dem Ziel , das Denken des Publikums zu provozieren und zu unterhalten. Zum Beginn dieser Neuzeit gab es bemerkenswerte, wichtige und bedeutende Werke von bleibendem Wert. Doch bald schon wurde daraus ein Kunstbetrieb, der sich in der oberflächlichen Unterhaltung und im millionenschweren Kommerz erschöpft. (Ein Grund, warum ich mich journalistisch nicht mehr damit beschäftige.) Der Film «The Square» thematisiert, wie moderne Kunst gesellschaftliche und soziale Probleme aufgreifen und zu einem öffentlichen Diskurs bringen soll. Da aber auch hier die Arbeit der PR-Agenturen und anderer Scharlatane lediglich auf Besucherzahlen und Einschaltquoten zielt, geht es schief. Die beiden Ebenen, die reale Welt des Gesellschaftlichen und Sozialen wie die Welt der Kunst inklusive ihrer Verbreitung und Konsumtion, werden im Film von Ruben Östlund durch den Krimi seines gestohlenen Handys kunstvoll und unterhaltsam ineinander verflochten; der Film lässt uns zwischen den beiden Welten pendeln, mit 145 Minuten etwas lange.

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Die zwei PR-Berater, welche die Ausstellung aufmotzen

Aus einem Kommentar des Regisseurs Ruben Östlund

2008 entstand die erste «Gated Community» in Schweden, eine abgesicherte Wohnsiedlung, zu der nur ihre Eigentümer Zutritt haben. Es handelt sich dabei um ein extremes Beispiel dafür, wie sich die privilegierten Klassen von ihrer Umwelt abschotten. Es ist zugleich eines der vielen Anzeichen dafür, dass in unseren europäischen Gesellschaften der Individualismus zunimmt, die Schere zwischen Arm und Reich seit dreissig Jahren unaufhörlich auseinandergeht. Sogar in Schweden haben steigende Arbeitslosigkeit und die Furcht vor sozialem Abstieg dazu geführt, dass die Menschen einander misstrauen und sich von der Gesellschaft abwenden.

Der Filmtitel «The Square» geht auf ein 4 x 4 Meter grosses Kunstprojekt zurück, das wir, Kalle Boman und ich, im Vandalorum Museum in Vãrnamo, Südschweden, ausgestellt haben. Aus dieser Ausstellung, die das Ideal der Übereinstimmung veranschaulicht, die in unserer Gesellschaft zum Wohl der Allgemeinheit herrschen sollte, wurde eine ständige Installation auf einem zentralen Platz der Stadt. Wer sich in dem Quadrat einfindet, ist dazu verpflichtet, zu handeln und zu reagieren, wenn jemand Hilfe braucht. Das Quadrat ist ein Ort uneigennütziger Werte, der sich auf die Ethik der allgemeinen Gegenseitigkeit fast aller Religionen beruft. Zum Beispiel: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu. Die Ausstellung spielt mit dem Gedanken, dass die soziale Harmonie von einer einfachen Entscheidung abhängt, die jeder von uns tagtäglich trifft: Ich vertraue der Gesellschaft oder misstraue ihr.

Im Film «The Square» thematisieren wir die Schwäche der menschlichen Natur: Wenn man versucht, das Richtige zu tun, ist es zwar einfach, den gebräuchlichen Werten zuzustimmen, doch schwieriger, nach ihnen zu handeln. Wie behandle ich beispielsweise Bettler, wenn ich mich für eine faire und gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen will, in der die Kluft zwischen Reich und Arm verschwindet? Die ständig wachsende, extreme Armut und das Ansteigen der Obdachlosigkeit in den Städten der reichen Industrienationen stellen uns mittlerweile jeden Tag vor solche Dilemmas.

Da der Film eine Satire ist, treibt er die schlimmsten Tendenzen unserer Zeit auf die Spitze, wie die Verantwortungslosigkeit der Medien, die die Probleme, von denen sie berichten, selbst erst schaffen. Das Museum engagiert PR-Spezialisten, damit die Ausstellung und ihr Konzept von einem breiten medialen Echo profitiere. Doch diese stellen sarkastisch fest, dass «The Square» zu nett sei, um irgendjemandes Interesse zu wecken. Wenn Journalisten darüber schreiben sollen, muss man eine Polemik auslösen, doch diesem Projekt fehle es an Biss und Kontroverse.

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Das zerstörerische Sensations-Video auf Youtube

Vom Hinterfragen zum Self-Check

Wie oben von mir beschrieben, spielt der Film «The Square» auf zwei Ebenen: der gesellschaftlichen, sozialen und moralischen sowie der kulturellen, medialen und ästhetischen. Auf beiden bietet Ruben Östlund interessante und herausfordernde Beobachtungen und Fragen. Diese sind nicht immer leicht lesbar, erschliessen sich gelegentlich erst im Nachfragen und Nachdenken, wenn die Tonart des Films für mich gelegentlich auch etwas aufsässig, etwas oberlehrerhaft wirkt. Doch immer sind sie, so denke ich, ernst gemeint für den Diskurs in einer Welt in der Krise.

Ist es ein Zufall, weil ich den neuen Film von Haneke einen Tag vor dem Film von Öslund gesehen habe, dass ich zwischen beiden eine untergründige Verwandtschaft zu spüren meine? Ich denke nicht. Ich finde zwischen «The Square» von Ruben Östlund und «Happy End» von Michael Haneke frappierende Parallelen und Verwandtschaften. Es scheint, dass beide Filme einen, in meinen Augen, wichtigen Gegensatz in unserer Zeit, die milliardenschwere, krankhafte Anhäufung von Reichtum auf der einen Seite und die Armut und Tod erzeugenden, milliardenschweren Schulden auf der andern schafft, ablesbar in der Ökonomie, der Umweltzerstörung, dem Terrorismus und der aktuellen Völkerwanderung. Vielleicht macht es Sinn, wenn wir diesen Film, der mit dem 4 x 4 Meter grossen Quadrat ein Mahnmal setzen will, als Selbst-Check über die Tragkraft oder Brüchigkeit unserer Solidarität benützen.

Regie: Ruben Östlund, Produktion: 2017, Länge: 145 min, Verleih: Xenix