This Is Not A Burial, It's A Resurrection

Meditation über Tod und Geburt: Der aus Lesotho stammende Lemohang Jeremiah Mosese erzählt in seinem Film «This Is Not A Burial, It's A Resurrection», wie ein Dorf für ein industrielles Grossprojekt überflutet werden soll, wogegen sich eine alte Frau wehrt. Ein Meisterwerk. – ab 19. Juni im Kino
This Is Not A Burial, It's A Resurrection

Mantoa, dargestellt von Mary Twala Molongo

Für Mantoa, die 80-jährige Witwe, bricht eine Welt zusammen, als sie erfährt, dass ihr letzter noch lebender Sohn in den Minen Südafrikas umgekommen ist, und sie beschliesst, dass auch ihre Zeit abgelaufen sei und sie sich um die eigene Beerdigung kümmern will. Doch es kommt anders als geplant. Ihr Heimatdorf in einer abgelegenen Berggegend von Lesotho soll einem Stausee weichen, ebenso der Friedhof. Die Politiker sprechen von Entwicklung und Fortschritt. Die Gräber könnten entweder zurückgelassen oder umgesiedelt werden: «Ihr habt die Wahl.» Mantoa wählt den Weg zum Büro des Ministers in der Stadt, will dort die althergebrachten Werte ihrer Gemeinde verteidigen. Doch wie eine Beschwerde einreichen, wenn man weder Schrift noch Regeln kennt? Bald schon sind die Vermessungsarbeiter in ihren gelben Gewändern täglich in den Hügeln zu sehen. In ihr reift der Drang nach Widerstand. Sie ruft die Gemeinde zu sich, politisiert sie leise, doch bestimmt, scheut sich auch nicht vor Diskussionen mit dem in die Rolle des Vermittlers gezwungene Dorfvorsteher. Auf Wochen der Hoffnung und Verzweiflung folgt eine gemeinsame Entscheidung; doch Mantoa wählt in letzter Sekunde ihren eigenen Weg.

Obwohl im Film ihr Gegner nie ausgeführt wird, kennen wir ihn: Es ist der Neokolonialismus. Um diesem entgegenzutreten, gibt Mantoa ihren Respekt vor den Institutionen der Kirche und des Staates auf. Es entstehen Konflikte: zwischen Alten und Jungen, Tradition und Fortschritt, zwischen Tod und Leben, auf dem Hintergrund der Frage nach dem Sinn des Lebens.

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Der Erzähler und Musiker

Lesotho und das Weltkino


«This Is Not A Burial, It's A Resurrection» hat nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig 2019 auf zahlreichen andern Festivals Beachtung geerntet, das afrikanische Kino erneut und das Kino von Lesotho erstmals ins Bewusstsein der Filmöffentlichkeit gebracht. Er ist der zweite lange Film von Lemohand Jeremiah Mosese und hat als erstes afrikanisches Werk eine Oscar-Nominierung für den besten internationalen Spielfilm erhalten. Der Film führt uns Lesotho, halb so gross wie die Schweiz und umrahmt von Südafrika, auf eine Weise vor Augen, dass wir es nicht so leicht wieder vergessen. Den grossen Eindruck verdankt er wohl seiner ausserordentlichen Gestaltung.  

Einerseits ist er dokumentarisch gehalten, rau, nah am Schmerz und am Schlamm der Dörfer, andererseits kunstvoll komponiert, langsam wie ein Strom fliessend und im alten 4:3-Bildformat gehalten. Der Bilderreigen wird gleich von Anfang an und immer wieder unterstützt von Yu Miyashitas Musik, mal folkloristisch, dann elegisch, mal unheimlich, dann sphärisch und übersetzt in exzellenter Kameraarbeit von Pierre de Villiers, bereits beim Einstieg und nochmals später mit langen Panoramafahrten durch das Innen und Aussen der Häuser, voll narrativem Reichtum, ergänzt durch traumhafte Überblendungen.

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Frauen beim Wäschewaschen

Annäherung an eine andere Kultur


In seiner Radikalität wirkt «This Is Not A Burial, It’s A Resurrection» fremd und anders, passt für ihn das Label «ein anderer Film» besser als für viele andere Filme aus fremden Ländern. Das aber verlangt von uns Zuschauer*innen Unvoreingenommenheit und Offenheit, belohnt uns am Schluss aber mit einem besonderen Filmerlebnis. Lemohang Jeremiah Mosese, 1980 in Hlotse, Lesotho, geboren, heute in Berlin lebend, im Film für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlich, geht es um mehr als eine rebellische Alte und einen Dorfstreit. Ihm geht es um die Geschichte seines Landes, das zwischen Tradition und Moderne, zwischen äusserer kolonialer Gewalt und innerer Bindung an die kulturelle Vergangenheit aufgerieben wird. Der Kampf um den Erhalt von Natur und Kultur trifft heute einerseits einen Nerv der Zeit, in der das Bewusstsein für den Umweltschutz Schub erhalten hat; anderseits geht es um Religion, die Unantastbarkeit des Glaubens, das Leben aus den eigenen Wurzeln zu leben.

Zwei Stunden dauert der Film, der nur wenig von Handlung getrieben und nur bedingt von Entwicklung geprägt ist. Mosese hat einen ruhigen, langsamen, meditativen, magischen Film gedreht, in den sich hineinfallen zu lassen sich lohnt. Und dennoch ein Drama voller Wehmut und voller Mut! Ein leiser Aufschrei, der im Getöse der Baumaschinen unterzugehen droht, aber dennoch in einem Triumph endet.

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Ein Gesicht wie eine Landschaft

Eine mutige Mantoa – eine grossartige Mary Twala Molongo

Mitunter hat man das Gefühl, nicht in einem Film, sondern vor einem Gemälde eines der grossen flämischen Meister mit biblischen und mythologischen Szenen zu sein. Lemohang Jeremiah Mosese ist auch bildender Künstler und kommt aus dem Süden des Landes, verwurzelt in fruchtbarer Erde, zuhause zwischen grünen Hügeln, verankert in lokalen Traditionen, umgeben von seinen Mitbürgern.

Das Gesicht der uralten Mantoa scheint sich ihrer Landschaft angeglichen zu haben, hat im Lauf ihres Lebens deren Hügel und Täler in sich aufgenommen. In diesen Gesichtslandschaften bewegt sich auch der Film. Die scheinbar gebrechliche Frau und ihre Darstellerin geben ihre Würde auch am Ende des Lebens nicht auf. Der Film wird so zu einem Monument für Mary Twala Mhlongo, die Mantoa auf dem Höhepunkt ihrer Karriere spielt und kurz nach der Filmpremiere verstorben ist.

Mit den emotionalen und philosophischen Botschaften über das schwierige Leben in der sich allmählich verwüstenden Geschichte Afrikas gelang dem Regisseur eine Parabel, die weltweit Gültigkeit hat. Dazu führt er mehrmals einen alten Geschichtenerzähler ein, der eine Lesiba spielt, ein Instrument, das mit dem Wind bespielt wird, einen anteilnehmenden Priester, bei dem die Türen für die andern stets offen sind, und einen Dorfpolitiker, der den schwierigen Weg zwischen den Fronten sucht an diesem Ort, der von den Einheimischen noch immer das «Tal der Tränen» heisst und nicht Nasaretha, wie ihn die europäischen Missionare im 19. Jahrhundert nannten.

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Mantoa, auf den Ruinen ihres niedergebrannten Hauses

Geheimnisse und Gleichnisse

Mosese befriedigt keine ethnografische Neugier, sondern präsentiert uns einen grossartigen, faszinierenden Wandteppich einer anderen Welt. In ähnlich stillschweigender Herangehensweise an das Wesen einer fremden Kultur, die den weissen Blicken nicht vertraut ist, macht es ein Film aus dem Sudan: die Parabel «You Will Die at Twenty», ebenfalls von Tradition und Fortschritt handelnd, aber auch von Trauer gegen das Jenseitige und Faszination für das Diesseitige.

In ihrem Streben nach einem richtigen Abschied aus dieser Welt, die keinen Platz mehr für sie zu haben scheint, entkolonialisiert Mantoa den Tod von seiner Spiritualität, in der sie keinen Sinn mehr findet. Radikal prangert sie an, dass aller Schmerz, den sie im Leben ertragen hat, vielleicht umsonst war. Doch genau wie diesen Nihilismus verwandelt Mosese ihre Enthüllungen in etwas Mächtigeres, einen existenziellen Widerstand. «Dies ist kein Begräbnis, es ist eine Auferstehung» wird so zu einem Drama voller Wehmut und Mut.

Nachdem Mantoa am Schluss des Films sich ihres Obergewandes entledigt hat, geht sie in die Gegenrichtung der auswandernden Bevölkerung und ruft, ihre Hände gegen Himmel gerichtet: «Halt! Komm nicht näher!» Dann schaut uns in Grossaufnahme eine junge Frau an: «Viele sahen den Tod, nur ich, die Tochter von niemandem, sah eine Auferstehung. Nicht die der Toten, sondern die der Lebenden.» Mit diesem in wenige Einstellungen verdichteten Schluss lässt uns der Film seine Aussage erahnen, nicht verstehen. Für mich eine Grösse dieses Films, dass hier das Erahnen das Erkennen übersteigt – nachdem wir uns schon während zwei Stunden immer wieder ahnend und vermutend in einer anderen Welt aufgehalten haben.


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Die Tochter von niemandem: in Mantoas Fussstapfen?

Lemohang Jeremiah Mosese zu seinem Film

Regie: Lemohang Jeremiah Mosese, Produktion: 2019, Länge: 120 min, Verleih: trigon-film