Für eine schöne Welt

Im Film Kunst erfahren und hinterfragen: Erich Langjahr setzt sich im Film «Für eine schöne Welt» mit zwei bedeutenden Schweizer Künstlern auseinander: mit Gottfried Honegger (am 16. Januar 2016 mit 98 Jahren gestorben) hinterfragt er die Kunst, mit Kurt Sigrist lässt er sie erfahren.
Für eine schöne Welt

Von Altamira bis in die klassische Moderne mit Gottfried Honegger und von dort weiter in unsere aktuelle Schweizer Kunst mit Kurt Sigrist spannt sich der Bogen der Themen im Film «Für eine schöne Welt». Der Zuger Filmemacher Erich Langjahr lädt damit zu neuen Wahrnehmungen ein. Persönliche Beziehungen, ein kluges Konzept, eine sorgfältige Montage und sparsame sphärische Musikklänge ergeben einen interessanten, anregenden, vielschichtigen Film. Zwei Künstler werden darin anlässlich von Vernissagen vorgestellt, Honegger in der Galerie Pro Arte bei Roxana Pirovano, Sigrist anlässlich der Vernissage in der Turbinenhalle in Giswil. Zusätzlich werden Sigrist beim Herstellen, Honegger bei Vorträgen begleitet. Das Vernissagepublikum samt der dazu gehörenden Reden nehmen einen breiten Raum ein. Das Ganze bietet interessante Anregungen zur persönlichen Auseinandersetzung mit der Kunst generell.

«Im Zentrum all meiner Filme steht der Mensch mit seinem Bedürfnis nach Sinn, nach Wahrheit und nach Schönheit. Es ist mein Versuch, das Leben, den Menschen und letztlich mich selbst in dem zu verstehen, was ich tue», so der 1944 in Zug geborene Dokumentarfilmer Erich Langjahr, der die meisten seiner Filme zusammen mit seiner Gattin Silvia Haselbeck realisiert. Aufgefallen ist er, nach einigen weniger bekannten Kurzfilmen, einer breiten Öffentlichkeit mit den Dokumentarfilmen «Ex-Voto» (1986), «Männer im Ring» (1990), «Sennenballade» (1996), «Geburt» (2009) und zuletzt «Mein erster Berg» (2012).

Was steckt hinter der Kunst?

Nicht um die Frage «Was ist Kunst?», sondern «Was steckt hinter der Kunst?» beginnt Gottfried Honegger sein erstes Statement, dem im Lauf des Filmes weitere folgen. Dabei blendet er 12'000 Jahre zurück bis zu den Höhlenzeichnungen von Altamira, würdigt die erhabene Kunst der mittelalterlichen Kathedralen, schliesst mit Picasso und Mondrian und hebt die Bedeutung der Kunst für die Kinder hervor. Einige Aussagen wirken auf mich etwas apodiktisch und doziert, sind jedoch klar und eindeutig, so der Satz, der an der Tür seines Ateliers an der Helenastrasse in Zürich steht: «Wenn du nicht Geometer bist, trete nicht ein.» Relativierend wirkt jedoch seine mündliche Ergänzung: «Geometrie ist für mich eine Religion, aber für den täglichen Gebrauch.» Seine Industrialisierungs- und Kapitalismuskritik, die er mit Verve vorträgt, wirken herausfordernd und anregend, wenn man sie als Denkanstösse, nicht als Dogmen nimmt. Mehr über Gottfried Honegger.

«Was steckt hinter der Kunst», das fragt auch Erich Langjahr im ganzen Film. Es geht ihm nicht darum, zwei Künstler zu porträtieren, sondern das Phänomen von zwei Seiten zu betrachten, es zu erfahren und zu diskutieren. Er geht dabei ähnlich vor wie der Grossmeister des Dokumentarfilms, Frederick Wiseman in seinem 2014 realisierten dreistündigen Film «National Gallery». Darin werden auch nicht die Künstler und ihre Werke in der Londoner National Gallery vorgestellt, sondern die bei zahllosen Museumsführungen gemachten Aussagen, die im mündlicher Diskurs die Kunst hinterfragen.

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Gottfried Honegger, als Kämpfer und Interpret der Kunst

Die Leere und das gezeichnete Ich

Mit dem Titel «Normen sprengen mit Kurt Sigrist» wird der zweite Künstler eingeleitet, mit dem uns Langjahr bekannt macht. Der jüngere Sigrist (1943) erweist sich als Gegenpol des älteren Honegger (1917). Jener sucht und fragt, bei diesem ist alles klar und bestimmt. Im Anblick der Räume schaffenden und einnehmenden Werke aus Holz oder Eisen, eigentlichen Kunsträumen, «Leerräumen» oder «Behausungen», die man betreten und umkreisen oder durch welche man blicken kann, erinnere ich mich an ein vor Jahrzehnten erstmals gelesenes Gedicht von Gottfried Benn. Der Dichter kommt, indem er nach dem Wozu allen Lebens fragt, zu dem existenzialistischen Schluss, dass dies die «Leere und das gezeichnete Ich» sei. Ähnlich könnte die Maxime, das geistige Fundament der Kunst von Kurt Sigrist heissen. Auch bei ihm geht es um die Leere als Symbol für die Welt, in die hinein der Mensch geworfen wurde, um sie als seine Lebensaufgabe zu füllen: mit Gedanken, Ideen, Assoziationen und Tun.

Im Gegensatz zu Honegger spricht Sigrist im Film kein Wort über Kunst. Von ihm werden lediglich die Werke aus Holz und Eisen und deren Entstehungsprozesse gezeigt: Räume und Leerräume. Bei ihm geht es um die gleiche Leere wie bei Benn und um den Akt des Füllens, zu dem er uns einlädt. «Du machst den Ort erst zu einem Ort, du erfindest einen neuen Standort», formuliert es Beat Stutzer, der Kurator der Ausstellung. Solche Aussagen lässt uns die Kamera eindrücklich erfahren. Von «einem leeren Raum voller geistiger Dimensionen» spricht der Theologe Friedhelm Mennekes, Eduardo Chillida zitierend, ja sogar von der «Sakralität der Räume» angesichts der Werke von Kurt Sigrist.

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Kurt Sigrist, in seinem Element als Handwerker

... und was macht Langjahr damit?

Bei der Auswahl der zwei Künstler und deren Oeuvre wird es deutlich: Der eine sagt, wie es ist, der andere fragt und sucht, lädt uns zum Suchen und Fragen ein. Dies drückt sich bereits beim Abfilmen des Vernissagepublikums aus: Die Leute bei Honegger kommen zu ihm als dem Meister, die Leute bei Sigrist durchwandern selbstständig die Räume und füllen so die Leeren. Die zwei verschiedenen Annäherungen ergänzen sich im Film von Langjahr. Er ist der Wissende und der Fragende und verbindet beides.

Der Film lädt uns ein, zu schauen, zu hören, zu fühlen, zu denken und am Schluss wahrzunehmen, d. h. einiges davon für uns als Wahrheit anzunehmen. – Zurück zum Titel «Für eine schöne Welt», der anfänglich auf mich etwas didaktisch wirkte, der schliesslich eine tiefere Bedeutung bekommen hat. Er verweist in seiner Aussagen zurück bis zu Thomas von Aquin. Etwa im Folgenden: «Die Schönheit als die Verbindung des Guten und des Wahren. (...) Das Schöne ist das Gute, sofern es wahrgenommen oder erkannt wird. (...) In ihrem Subjekt sind Schönes und Gutes dasselbe, denn sie gründen auf derselben Realität.»

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Das Kunstwerk als Teil der Landschaft


Regie: Erich Langjahr, Produktion: 2015, Länge: 74 min, Verleih: Langjahr