Schwarzarbeit

Der Mensch im Zentrum: Betrüger und Betrogene bei Lohndumping und Schwarzarbeit: Das untersucht Ulrich Grossenbachers Roadmovie «Schwarzarbeit», indem er Arbeitsmarktkontrolleur:innen bei ihrer Arbeit begleitet. Entstanden ist ein Politthriller, stark, weil direkt, fair, weil ausgewogen.
Schwarzarbeit

Gesucht werden Opfer und Täter

Zusammen mit dem Filmemacher Ulrich Grossenbacher begleiten wir im Dokumentarfilm «Schwarzarbeit» hautnah die Arbeitsmarktkontrolleur:innen Frédy Geiser, den Hauptprotagonisten, Regula Aeschbacher, Marcos Feijoo, Stefan Hirt, Christoph Zaugg und folgen ihren Diskussionen über die schier unlösbare Aufgabe, die gesetzlichen Mindeststandards der Schweizer Arbeitswelt durchzusetzen. Die EU verlangt ultimativ weniger Lohnschutz; die Gewerkschaften bleiben hart. Diese komplexe Situation setzt der Film mit Statements von Alt Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini, Alt Bundesrat Christoph Blocher, Bundesrat Ignazio Cassis und Alt Nationalrätin Regula Rytz in den politischen Zusammenhang.

Menschliche Werte retten und erhalten

«Schwarzarbeit» erfüllt exakt die Kriterien, die ich von einem menschlich wertvollen Film erwarte: Er sucht auf Fragen des Lebens Antworten, leuchtet Unbekanntes und Fremdes aus und erfüllt so eine wichtige Aufgabe der Kunst. Grossenbacher tut es, indem er die Werte, die in der Arbeitswelt den Menschen, nicht den Profit in den Mittelpunkt stellen, direkt und hart, aber anteilnehmend verteidigt. Er erinnert an Che Chevaras Ausspruch: «Wir müssen stark werden, ohne je unsere Zärtlichkeit zu verlieren.» Offengelegt wird, dass dabei vor allem die Opfer untersucht werden, damit später, im Glücksfall, die Bosse angehalten und untersucht werden können. Im Rücksitz des Autos mit den Kontrollierenden fährt der Regisseur von Betrieb zu Betrieb und lässt uns sehen und hören, was gesagt, gelogen und verschwiegen wird. – Ich hoffe, «Schwarzarbeit» wird für den aktuellen und künftigen politische Diskurs ähnliche Bedeutung bekommen wie 2003 Jean-Stéphane Brons Film «Mais im Bundeshuus» oder 1964 «Siamo italiani» von Alexander J. Seiler, June Kovach und Rob Gnant.

 

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Gelegentlich in Verstecke eindringen

 

Wie es zum Film kam und was er bezweckt – Statement des Autors Ulrich Grossenbacher

 

Als die alte «Migros Lorraine» in eine neue, schicke Filiale zügelte, wollte das Management der «Migros Aare» die bestehende Crew der Angestellten nicht in die neue Filiale wechseln lassen. Einige ältere Verkäuferinnen und Verkäufer waren am Boden zerstört. Frau Hirt, seit 25 Jahren an der Kasse, verstand die Welt nicht mehr und weinte. Meine Frau und ich waren von dieser Situation sehr betroffen und organisierten eine Kampagne für die Verkäuferinnen, informierten einen Journalisten der «Berner Zeitung» und initiierten nach dessen Artikel einen Shitstorm in den Medien und bei der Direktion. Auch der Verein «Läbigi Lorraine» wurde aktiviert. Betroffen durch die vielen Zuschriften von Quartierbewohnern zeigte sich das Management am nächsten Tag bereit, mit unserem Verein als offizielle Vertretung der Quartierbewohner:innen den Dialog zu suchen. Nach diesem Gespräch durfte die alte Crew in die neue Filiale ziehen. «20 Minuten» berichtete darüber auf der Titelseite. Heute bewacht Frau Hirt stolz die Selbstbedienungskassen in der neuen Filiale und verabschiedet sich jedes Mal mit «Machets de guet» von den Kunden. Nach dem Wechsel in die neue Filiale erzählte sie mir, dass es sie unheimlich glücklich und stolz gemacht habe, dass sich das ganze Quartier für sie eingesetzt habe, da sie doch sonst bei ihrer Arbeit immer als unsichtbar gelte. Das Happy End in dieser Geschichte trifft genau die Absicht, welche ich mit dem Film «Schwarzarbeit» anstrebe: mich für eine menschliche und lebenswerte Arbeitswelt einzusetzen.

 

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Untersuchungen können verunsichern

 

Als Haupterzählstrang im Film begleite ich die unangemeldeten Besuche der Arbeitsmarktkontrolle Bern. Überfallartig bringen uns die Inspektoren an Orte und zu Menschen, die uns in der heutigen Arbeitswelt eine grosse Misere offenbaren. Es handelt sich dabei um ein weitergehendes Politikum, da sich unser Land seit den letzten Jahren immer wieder heftig mit der europäischen Integration auseinandersetzt. Einer der grössten Streitpunkte dabei: Soll die Schweiz die eigenen Lohnschutz-Massnahmen aus der Hand geben und dem europäischen Recht unterstellen? Emotional fühle ich mich bei diesen Lohnkontrollen mit beiden Seiten verbunden, mit den Inspektor:innen ebenso wie mit den kontrollierten Arbeiter:innen. Mit den Inspektoren, weil sie für lebenswerte Arbeitsbedingungen und einen funktionierenden Sozialstaat einstehen, den Kontrollierten, weil sie oft keine andere Wahl haben, als schwarz und ausserhalb gesetzlicher Bestimmungen zu arbeiten. Dabei denke ich auch an die geschätzten 100'000 Sans-Papiers in der Schweiz.

 

Infolge der Globalisierung ist das günstigste Angebot immer in Reichweite. Gleichzeitig delegieren wir Probleme in der Produktion einfach ins Ausland. In Asien, Afrika, in mittel- und südamerikanischen Ländern gibt es weniger soziale Sicherheit. Die Löhne für einfache Arbeiten reichen dort meist knapp zum Überleben, auch der Umweltschutz kommt erst hinter den wirtschaftlichen Interessen. Wir kennen diese Problematik und fühlen uns ihr gegenüber ausgeliefert und hilflos. Trotzdem konsumieren wir, manchmal freudvoll und manchmal achtlos, all diese Früchte, Kleider und Waren aus der ganzen Welt. Mit meinem Film möchte ich aufzeigen, dass man die Löhne nicht dem freien Markt überlassen sollte. Es braucht Schutzmassnahmen für alle. In der menschlichen Natur ist die Bereicherung auf Kosten der Mitmenschen ein starker Trieb. Wir brauchen deshalb Kontrollen, um dieses Verlangen in Grenzen zu halten.

 

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1. Mai-Demonstration der Gewerkschaften

 

Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU von 2002 war ein grosser politischer Fortschritt für die Bürger in unserem Land und in Europa. Neu hatte man das Recht, sich niederzulassen, wo man wollte, in Europa und umgekehrt auch in der Schweiz. In der damaligen Abstimmung hatte man klugerweise der Schweizer Bevölkerung Lohnschutz versprochen, welcher in Form flankierender Massnahmen kodifiziert wurde. Die EU erachtete in den letzten fünfzehn Jahren die wirtschaftlichen Interessen einer nach Profit und Wachstum strebenden Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft höher als ein soziales und auf Ausgleich bedachtes Europa. Auch bei den sozialdemokratischen Parteien Europas kam der Lohnschutz aus der Mode, wurde nicht mehr prioritär angesehen. Ohne Basis bei den ärmeren Schichten verschwanden die Sozialisten und Sozialdemokraten mehrheitlich von den Schalthebeln der Macht.

 

Ich bin überzeugt, dass die politischen Krisen in der EU und den USA mit Brexit, Gelbwesten, Donald Trump und dem Aufkommen rechtsnationaler und antidemokratischer Bewegungen auf diese Politik zurückzuführen sind. Eine Unter- und Mittelschicht, welche sich im grenzenlosen Arbeitsmarkt auf der Verliererseite sieht, ist sehr empfänglich für fremdenfeindliche Ideologien. Dabei wird verkannt, dass das Problem nicht der polnische Metallbautechniker, die deutsche Informatikerin, der spanische Maurer oder die rumänische Wäscherin ist. Es sind die grossen Firmen, Auftraggeber und Bauherren, welche sich nicht an die vereinbarten Mindestlöhne halten oder ihre Verantwortung an Subunternehmer delegieren, welche oft schwarzarbeiten lassen oder Angestellte in eine Scheinselbstständigkeit zwingen. Aber auch der Staat steht in der Verantwortung, welche Vergehen gegen das Arbeitsrecht er duldet und wie stark er kontrolliert und sanktioniert. So ist der Film «Schwarzarbeit», welcher mehrheitlich im Kanton Bern gedreht wurde, auch ein europäischer Film, in dem sich globale Auseinandersetzungen zum Thema Arbeit und Gerechtigkeit spiegeln.

 

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Oft wird die Polizei zur Unterstützung geholt

Ein interessanter, konsequenter Filmemacher

 

Ulrich Grossenbacher wurde 1958 in Langenthal geboren, besuchte die Kunstgewerbeschule Basel, war bis 1994 Künstler und Restaurator, 1995/1996 absolvierte er Kurse für Filmgeschichte und Dokumentarfilm an der Kunstgewerbeschule Bern, seit 1996 ist er Freelance als Kameramann und Filmemacher. 1996 entstand «Museumswächter», 1997 «Seide, Muthappar und VHS», 2006 «Hippie Masal» und 2010 «Messies, ein schönes Chaos». Bereits mit diesem Film zeigte er, was eine gesellschaftliche Gratwanderung bedeutet, und so lautet denn für «Messies» wie für «Schwarzarbeit» die Frage gleich: Beherrschen wir das Chaos oder beherrscht das Chaos uns?

Regie: Ulrich Grossenbacher, Produktion: 2021, Länge: 89 min, Verleih: Fair & Ugly