Hors-Saison

Wenn das Leben (nicht) gelingt: Stéphane Brizé, bisher vor allem mit seinen sozialkritischen Werken berühmt, hat mit «Hors-Saison» einen schmerzhaft-zärtlichen, optimistisch-melancholischen Spielfilm über Einsamkeit und Liebe in den «Zwischenzeiten» des Lebens geschaffen. Ab 9. Mai im Kino
Hors-Saison

Mathieu (Guillaume Canet), ein bekannter Pariser Filmschauspieler, kämpft mit einer Midlife-Crisis. Um Abstand zu gewinnen, reist er an die bretonische Westküste Frankreichs, wo er sich in ein Wellnesshotel einquartiert. Ganz in der Nähe lebt die Klavierlehrerin Alice (Alba Rohrwacher) mit ihrem Mann. Vor 15 Jahren waren Mathieu und Alice ein Paar. Als es zu einem Wiedersehen kommt, erwachen alte Gefühle, die sie ihre Entscheide über Leben und Liebe überdenken lassen.

Nach der langen Zeit kratzen die Gespräche zunächst nur sanft an der Oberfläche. Doch allmählich reichen sie tiefer und werden schmerzhaft, ohne dabei etwas von ihrer Zärtlichkeit zu verlieren. Selbst wenn wir seine Frau einmal am Telefon hören und ihren Mann in einigen Szenen zu sehen bekommen, ist «Hors-Saison» ein klassisches Zwei-Personen-Stück.

Ein zutiefst romantisches Drama, melancholisch, leicht und dennoch tiefgründig. Mit Humor und lebensklugen Dialogen bereitet es Alice und Mathieu die Bühne, die das Publikum mit ihrem Spiel in ihren Bann zu ziehen. Brizé schafft mit «Hors-Saison» Momentaufnahmen zweier Menschen in der Mitte des Lebens.

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Alice und Mathieu

Jetzt sitzt Mathieu im Taxi, um sich in einem edlen, sterilen Hotel für sechs Übernachtungen einzuchecken. Die Hauptsaison ist vorbei, die Strände und Strassen sind leer, im Hotel finden sich nur noch ein paar Senioren. Sonst ist Mathieu allein mit sich und seinen düsteren Gedanken. Dass er selbst an der schicken Kaffeemaschine in seiner Suite scheitert, unterstreicht seinen angeschlagenen Seelenzustand. Die Massagen und Thalasso-Behandlungen verschaffen ihm keine Befriedigung. Manchmal sitzt er einfach auf dem Bett und weint. Auf seinem Handy sammeln sich Nachrichten enttäuschter Regisseure und Kollegen, die ihm Vorhaltungen machen und seinen unprofessionellen Ausstieg beklagen. Er müsse lernen, neu zu atmen, sagt ihm ein Trainer, im Fitnessstudio joggt er wie im wahren Leben am Ort. Am Telefon erklärt er seiner Frau sein Dilemma und seine Schuldgefühle. So recht will sie ihn und sein erschüttertes Selbstwertgefühl nicht verstehen: Blick nach vorn, erhol dich, lies die mitgebrachten Drehbücher, steh zu deinen Fehlern und mach es künftig besser!  

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Mathieu und Alice

So dreht Mathieu sich im Hamsterrad, bis von Alice eine Nachricht kommt. Denn es hat sich herumgesprochen, dass ein Filmstar in der Gegend ist. Alice war einmal seine Geliebte, und nachdem er die Beziehung beendet hat, ist sie in ein Loch gefallen. Sie hat Paris verlassen, lebt jetzt seit zwölf Jahren in der Provinz, ihre Träume von einer Karriere als Pianistin hat sie aufgegeben, als sie einen Arzt kennengelernt und geheiratet hat. Sie lebt ein normales, glückliches Leben. Wenn nur bei Alice die Erinnerung an Mathieu, nach dem abrupten Ende, nicht noch immer lebendig wäre und sie im Innern aufwühlt.

Die beiden treffen sich in einem Café. Man merkt ihnen ihre Unsicherheit an. Was soll man erwarten, wenn man so lange zwei völlig getrennte Leben geführt hat? Doch schon bald ergibt sich eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang. Er fühlt sich von ihr verstanden, kann ihr erzählen, was ihn bewegt. Du bist besser als eine Thalassotherapie, sagt er zu ihr. Beide lachen und gehen wieder ihre Wege: Alice zuhause, wo sie den Geburtstag ihrer Tochter feiert, Mathieu im Hotel auf das Laufband, wo er weiter auf der Stelle rennt. Alles wäre gut und unverändert, wenn es in Alice nicht unablässig arbeiten würde und sie das Treffen mit ihm nicht abhaken kann. Sie schickt ihm eine Nachricht. Hoffentlich gehe es ihm gut, die Begegnung sei schön, aber zu kurz gewesen. Sie verabreden sich erneut, spazieren am Strand, reden über sich, ihre gemeinsame Zeit und was sie füreinander empfinden. Man spürt die Ressentiments, die sich über die Jahre bei ihr aufgebaut haben. Er entschuldigt sich, meint es ehrlich. Sie akzeptiert es. Beiden tut die Offenheit gut. Kurzentschlossen macht sie ihm den Vorschlag, sie an seinem letzten Abend der Kur zur Hochzeit einer Freundin zu begleiten. Beide betreten Neuland, beginnen ein Abenteuer, das ihr Leben neu ordnen wird.

«Ich wollte in diesem Moment verweilen», meint der Regisseur, «in dem wir über Entscheidungen nachsinnen, die wir nie getroffen haben oder die ein Fehler waren, über Begegnungen, die wir verpasst oder falsch genutzt haben, über Türen, die wir nie aufgestossen haben, über Verabredungen, die wir verbummelt, über Momente im Leben, in denen wir uns für den einen, statt für einen anderen Weg entschieden haben. Ich wollte diesen eindringlichen, geheimen Grübeleien nachgehen, einen Film darauf aufbauen.»

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Bei der Hochzeit

Hinter dem Verlust die Liebe – hinter der Liebe der Verlust

Vielleicht kann man das, was sich beim ersten Zusammentreffen der beiden im Café abspielt, etwa so zusammenfassen: «Hors-Saison» beschreibt, dass hinter dem alten Verlust eine neue Liebe entstehen kann. Vor allem in dieser halben Stunde des Films erleben wir wunderbare Schauspielkunst, sehen es in feinen Regungen der Mimik und hören es in harmonischen Klängen.

Bei der zweiten Begegnung draussen in der Natur, am Strand, auf den Klippen und vor der Brandung, überfällt die Vergangenheit die beiden und bohrt sich tief in ihre Seelen: «Hors-Saison» beschreibt, wie hinter der neuen Liebe der Verlust der alten die Erinnerung aufwühlt. Der zweite Teil bringt eine Fülle grossartiger «Paysages de l'âme» von Antoine Héberlé und musikalischen Pendants von Vincent Delerm.

Elegant bringt der Film zwischen den beiden Begegnungen eine lange Sequenz mit einem Interview von Alice mit Lucette (Lucette Beudin), einer alten Freundin. Das Gespräch erweist sich als typische, exemplarische Biographie einer bürgerlichen Frau im letzten Jahrhundert in Frankreich. Damit erhält die Geschichte mit den zwei mittelalterlichen Menschen eine Ausweitung ins Alter und wird umfassend und allgemeingültig, allgemeinmenschlich.  

PS: Stéphane Brizés sozialkritische Trilogie: «En Guerre», «Un autre monde», «La loi du marché».

Aus einem Gespräch mit Stéphane Brizé über «Hors-Saison»

Regie: Stéphane Brizé, Produktion: 2023, Länge: 115 min, Verleih: Xenix Film