Tout s'est bien passé

Was ein alter Mann so alles auslösen kann: Ein Anruf reisst Emmanuèle aus ihrem Alltag, ihr Vater André hatte einen Hirnschlag, liegt im Spital. Damit beginnt der Film «Tout s'est bien passé» von François Ozon über eine Tochter-Vaterbeziehung und die Auseinandersetzung mit dem Suizid eines alten Menschen: ein spannendes Melodrama mit berührenden Momenten. Ab 14. April im Kino.
Tout s'est bien passé

Emmanuèle (Sophie Marceau) und André (André Dussollier)

Vorbemerkung als Einführung: Ein Spielfilm, der bereits im Titel sagt, dass alles gut ausgeht, lässt aufhorchen, sperrt sich gegen äussere Action, lädt ein, das, was im Alltag zwischen Menschen abläuft, bewusst wahrzunehmen und zu bedenken. Bei «Tout s'est bien passé» lohnt sich dies bestimmt! François Ozon versteht es, uns nahe an die Menschen heranzuführen, um eine Zeit lang bei ihnen zu verweilen und Anteil nehmen zu können.

Der vitale, unternehmungslustige, etwa achtzigjährige André Bernheim (André Dussollier), ehemaliger Industrieller, Kunsthändler und Mitglied der Ehrenlegion, bekommt einen Schlaganfall. Die Nachricht reisst seine Töchter Emmanuèle (Sophie Marceau) und Pascale (Géraldine Pailhas) aus ihrem Alltagsleben und fordert sie heraus zu Planen und Umplanen. Bei den Schwestern wird Freundschaft, aber auch Rivalität spürbar. Nach Notfallbehandlung, Untersuchungen und Operationen zeigt sich, dass André dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein wird. Doch damit kann er sich nicht abfinden und bittet Emmanuèle, ihm zu helfen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Jetzt müssen die beiden Schwestern entscheiden: Andrés Wunsch akzeptieren und ihn in den Tod begleiten oder seine Lebenslust mit ihrem Einsatz neu wecken.

Wie jeder Film von François Ozon ist auch «Tout s’est bien passé» ein völlig anderer als seine früheren, gleichzeitig aber unverkennbar Ozon: in seiner Annäherung an die Personen und seiner Eleganz der Erzählung. Basierend auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Emmanuèle Bernheim, leuchtet der Regisseur eine packende, tiefgründige Tochter-Vaterbeziehung aus, thematisiert die Probleme bei einem selbstbestimmten Alterssuizid – und entwickelt den Film zu einer Hommage an die Schönheit und den Reichtum zwischenmenschlicher Beziehungen, die im Hintergrund und Untergrund Unsichtbares und Unhörbares sichtbar, hörbar und allgemeinmenschlich machen. So wie es Khalil Gibran, der libanesisch-amerikanische Dichter und Philosoph einst über die Kunst allgemein geschrieben hat: «Kunst ist ein Schritt vom Sichtbaren und Bekannten zu dem, was unsichtbar und unbekannt ist».

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Gespräche und immer neue Gespräche treiben die Handlung und das Leben voran

 

Mit François Ozon uns dem Film nähern

 

Wie kamen Sie zu Emmanuèle Bernheim?
Ich habe Emmanuèle im Jahr 2000 über meinen damaligen Agenten kennengelernt. Unser Film «Sous le sable» lag auf Eis, niemand mochte das Drehbuch, keinem gefiel das erste Filmmaterial. So schlug mir mein Agent vor, mich mit Emmanuèle Bernheim zu treffen, um das Drehbuch umzuschreiben. Er hatte das Gefühl, dass wir gut zusammenpassen würden, und er hatte recht: Wir verstanden uns sofort und wurden schnell Freunde. Wir hatten einen ähnlichen Geschmack, was Filme, Schauspieler und ihre Körperlichkeit betrafen. Und mir gefiel ihr Schreibstil sehr gut.

Mit welchen Gefühlen lasen Sie ihren Roman «Tout s’est bien passé»?
Emmanuèle schickte mir die Korrekturfahne ihres Buches und ich war sehr bewegt von den Erzählungen über ihren Vater. Mir gefielen der Rhythmus und die Spannung der Geschichte, die sich fast wie ein Krimi anfühlte. Emmanuèle fragte mich, ob ich Interesse hätte, das Buch für das Kino zu adaptieren. Ich war mir sicher, dass daraus ein schöner Film werden würde. Allerdings war es ihre sehr persönliche Geschichte und ich war mir zu diesem Zeitpunkt unsicher, wie ich sie zu meiner eigenen Erzählung machen sollte.

Was hat Sie dazu bewogen, den Stoff jetzt zu adaptieren?

Nach dem Tod von Emmanuèle hat ihre Abwesenheit in mir den Wunsch geweckt, wieder bei ihr zu sein. Vielleicht fühlte ich mich auch auf einer persönlichen Ebene mehr bereit, in ihre Geschichte einzutauchen. Ich brauche oft Zeit mit den Büchern, die ich adaptiert habe, um sie reifen zu lassen, um herauszufinden wie ich sie mir zu eigen machen kann. Und dafür wollte ich unbedingt mit Sophie Marceau arbeiten.

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Pascale (Géraldine Pailhas), die Sterbebegleiterin (Hanna Schygulla) und Emmanuèle

«Tout s'est bien passé»: ein Film über die Schönheit und Tiefe des Gesprächs

 

Über die ganze Filmlänge herrscht Spannung, anfangs Tagebucheintragungen folgend, dann in einem Countdown endend. Begründet ist diese Spannung vorerst in der Dramaturgie; denn jeder Film will fesseln. Doch hier scheint sie mir einen tieferen Grund zu haben: in der Komplexität, Vielfalt und Widersprüchlichkeit bei der Behandlung der Probleme, denen die Personen um André ausgesetzt sind. In der Intensivstation, bei den Untersuchungen, angesichts der Komplikationen, bei der Rehabilitation und nach dem Entscheid «Hilf mir, das Leben zu beenden!»

Betroffen ist vorerst Andrés Lieblingstochter Emmanuèle, der er die Absicht zum Freitod geäussert hat. Doch ebenso betroffen ist Pascale, die Mutter von Ralph, Andrés Lieblingsenkel. Bereits schon in diesem engeren Personenkreis spielen sich, Bild um Bild, Satz um Satz, Geste um Geste, intensive zwischenmenschliche Beziehungsspiele ab. Nicht unerwähnt sei, trotz der Kürze ihrer Auftritte, Andrés kranke, verhärmte Ehefrau, die frühere Bildhauerin Claude (Charlotte Rampling). Und als ihr Rivale drängt sich mit Gewalt der ehemaliger homosexuelle Freund Gérard (Gregory Gadebois) auf. Zum Schluss meldet sich von New York Cousine Simone, die in Erinnerung an ihre Holocaust-Erfahrung sich vehement gegen Euthanasie wehrt. Als einem alten Freund wird Thierry im Café «Voltaire» ein Besuch abgestattet. So erweitert sich das Beziehungsnetz und die Gespräche werden komplexer, aber auch reicher. Das Ganze kann immer stärker als Schönheit und Tiefe des Gesprächs wahrgenommen und verstanden werden.

Ein Film über das Lösen von Schwierigkeiten beim assistierten Suizid alter Menschen

 

Erst nach einer halben Stunde Film wird der Suizid erstmals angesprochen, beginnen Gespräche über dieses Thema zwischen den Angehörigen, werden Argumente ausgetauscht und abgewogen. Auch diese werden vom Regisseur nicht im Sinne eines Lehrfilms, sondern als Einblicke in ein gelebtes Leben differenziert und anteilnehmend präsentiert. Dabei gibt es spezielle Aspekte, da die Gesetze dazu in Frankreich und der Schweiz verschieden sind: In Frankreich ist der begleitete Suizid verboten, in der Schweiz unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Damit entwickelt sich eine Dynamik, die neue Problemlösungen sucht. Gegen Ende des Films spitzt sich die Handlung fast wie zu einem Actionfilm zu, nie selbstzweckhaft, stets von menschlichen Beweggründen, Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Erschöpfung getragen.

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Pascale und Emmanuèle (v. l.)

Rückblick auf frühere Ozon-Filme

 

François Ozon, 1967 in Paris geboren, hat zwischen 1998 und 2022 mehr als zwanzig Filme gedreht, die sich durch gestalterische Qualitäten, mit berühmten Darstellerinnen und Darstellern und grosser Themenvielfalt auszeichnen. Hier drei Filme: «Sous le sable», 2000, mit Charlotte Rampling. Jahr für Jahr verbringen Jean und Marie im sorgsamen Ritual von Menschen, die sich schon lange kennen, ihre Sommerferien am Atlantik, bis eines Tages alles anders wird. – «Frantz», 2016, mit Paula Beer. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg in einer deutschen Kleinstadt geht Anna täglich zum Grab ihres Verlobten Frantz, der in Frankreich gefallen ist, bis eines Tages ein junger Franzose dort Blumen niederlegt. Grossartiger Schwarzweiss-Film über die deutsch-französische Versöhnung. – «Grâce à Dieu», 2018. Dokuspielfilm über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, die die Aufklärung behindert, und einigen mutige Männer, die dagegen ankämpfen.

Regie: François Ozon, Produktion: 2021, Länge: 213 min, Verleih: Filmcoopi