Tehran Taboo

Mit Tabus unterdrückt: Der aus dem Iran emigrierte Ali Soozanden entlarvt mit seinem Animationsfilm «Tehran Taboo» die Verlogenheit, die auf den Sex-Tabus der Religion fusst, und zeigt die Folgen für Frauen.
Tehran Taboo

Pari, sorgende Mutter und Prostituierte

Vorbemerkung: Aus dem Filmland Iran sind im Westen vor allem Regisseure wie Abbas Kiarostami, Jafar Panahi und einigen andere bekannt. Ihre Filme entstehen meist unter schwierigsten Umständen. Denn mit Zensur, Verbot oder Gefängnis versucht der Islamische Gottesstaat, die Künstler im Zaum zu halten. Ali Soozandeh, der Regisseur von «Tehran Taboo», unterscheidet sich von diesen. Er ist nach Deutschland geflohen und deshalb frei, an seinem Land Kritik zu üben. Vielleicht überbordet er deshalb in seinem ästhetisch flächigen, nicht sehr differenzierten, auf starke Kontraste setzenden Erstlingsfilm. Und wir empfinden die Aufzählungen gelegentlich als etwas «too much». Dennoch ist der gut gemachte Animationsfilm ein ernst zu nehmendes Dokument des Status quo Irans, der zum Nachdenken anregt.

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Ein spezieller Animationsfilm: Schauspieler wurden vor einem Green Screen gefilmt, bevor das Material mit Hilfe von Motion Capture und der Rotoskopie als Animationsfilm verfremdet wurde.

Eine Geschichte voll tragischer und absurder Szenen

Vier junge Menschen balancieren auf dem schmalen Grat zwischen individueller Freiheit und religiösen Gesetzen. Das Umgehen von Verboten wird zum Alltagssport, der Tabubruch zur Selbstverwirklichung, die verzweifelte Suche nach persönlichem Glück zur zwangsläufigen Kampfansage an die Staatsgewalt.

Pari arbeitet als Prostituierte, um sich und ihren fünfjährigen Sohn durchzubringen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, denn ihr Mann sitzt im Knast, ist drogenabhängig und weigert sich, die Scheidungspapiere zu unterschreiben und Unterhalt zu zahlen. Während sie anschaffen geht, wird sie auf tragische und absurde Weise mit der herrschenden Doppelmoral konfrontiert. So stellt ihr ein angesehener Richter die Scheidung in Aussicht, sofern sie ihm jederzeit als Geliebte zur Verfügung steht.

Im Studentenheim gegenüber lebt der junge Musiker Babak, der sich mit kleinen Auftritten und Musikunterricht über Wasser hält. Als es eines Nachts mit Donya zu einem One-Night-Stand kommt, gibt das für ihn ein Problem: Sie eröffnet ihm, dass sie in acht Tagen heiraten werde und als Jungfrau in die Ehe gehen müsse, er soll ihr die Operation bezahlten, die das Jungfernhäutchen wiederherstellt. Ein solcher Eingriff ist teuer und wird nur durchgeführt, wenn die Eltern ein Dokument unterschreiben und ein Gerichtsmediziner die Entjungferung als Unfall oder Vergewaltigung erklärt.

Im Behandlungsraum nebenan sitzt Sara. Sie ist nach zwei Fehlgeburten wieder schwanger. Während ihre streng religiöse Schwiegermutter hocherfreut von einem Gottesgeschenk spricht, blickt Sara skeptisch in die Zukunft. Sie hält ihr Leben im traditionellen Haushalt ihres Mannes nicht mehr aus, will auswärts arbeiten, er aber weigert sich, ihr das Einverständnis zu geben.

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Der Musiker Babak mit seinem Freund

Aus einem Interview mit Ali Soozanden

 

Wie ist das Projekt entstanden?

«Tehran Taboo» ist ein Originaldrehbuch. Die Idee entstand vor ein paar Jahren, als ich in der U-Bahn ein Gespräch von zwei jungen Iranern mitgehört habe, die über ihre Erfahrungen mit Mädchen gesprochen haben. Sie erwähnten eine Prostituierte, die ihr Kind mit zur Arbeit gebracht hat. Das stimmte mich nachdenklich in Bezug auf das Thema Sexualität im Iran. Ich begann in sozialen Medien zu recherchieren und analysierte meine eigenen Erinnerungen, wie mit solchen Belangen umgegangen wurde, als ich Teenager war. Daraus entwickelte sich die Geschichte.

Erzähl uns von deiner Beziehung zum Iran.

Ich bin im Iran geboren und habe dort gelebt, bis ich 25 war. Ich bin der einzige in meiner Familie, der nicht mehr dort lebt. Als die Islamische Revolution begann, war ich neun. Ich bekam die Folgen zu spüren, als plötzlich Jungen und Mädchen in der Schule getrennt wurden. Das war die erste von vielen traumatischen Erfahrungen. 1995 wanderte ich aus und lebe seither in Deutschland.

Welche gesellschaftliche Atmosphäre herrscht derzeit im Iran?

Mit diesem Film wollte ich das Schweigen brechen, das im Iran herrscht. Ich behaupte, dass Tabus zu brechen ein Weg ist, um gegen Unterdrückung zu protestieren. Im Iran ist der Alltag von gesetzlichen Verboten und moralischen Einschränkungen geprägt. Wenn Sexualität streng reglementiert wird, werden Menschen erfinderisch, um diese Tabus zu umgehen. Es gibt Orte ohne Regeln. Um die öffentliche Prüderie zu kompensieren, kann das Privatleben schnell bei Sex, Alkohol und Drogen ins Verbotene abgleiten. Der Mangel an Freiheit begünstigt ein Leben mit Doppelmoral. «Tehran Taboo» konzentriert sich darauf, was zu gesellschaftlichen Komplikationen führt und sich in absurden, oft komischen Situationen widerspiegelt.

Die Frauen spielen in deinem Film eine zentrale Rolle.

Das Bild, das die westliche Bevölkerung vom Iran hat, ist verzerrt, voller Klischees und geprägt von Stereotypen, die von «1001 Nacht» bis zum nuklearen Disput reichen. Aber die Realität ist vielfältiger. Frauen im Iran haben einen besseren Bildungsgrad als Männer und eine Rolle im täglichen Leben. Doch es gibt nicht die eine iranische Frau, sondern viele, von der religiösen Fundamentalistin bis zur westlich geprägten Feministin. Natürlich hat letztere nicht die Möglichkeit, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Mein besonderes Interesse galt der Rolle der Frauen im gesellschaftlichen Spiel der Tugenden. Sie sind diejenigen, die am meisten leiden. Von Frauen wird grundsätzlich erwartet, dass sie sich selbst und ihren Kindern Regeln und Tabus auferlegen, die ihre Freiheit und die der nächsten Generation eingrenzen.

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Vom angesehenen Richter abhängig

Sexualität und Religion: eine Quadratur des Kreises?

Da der Islam, wie auch das Juden- und Christentum, in der alltäglichen Religiosität seine Aufmerksamkeit stark auf die Sexualität richtet, können uns vielleicht einige Aussagen des Sexualwissenschaftlers Martin Dannecker (Tages-Anzeiger, 4. 11. 2017) für das Verständnis des Films dienen. Der Rückblick auf die Entwicklung der Rolle der Sexualität bei uns lässt hoffen, dass auch einmal in der muslimischen Welt Tauwetter wird.

Als Sexualwissenschaftler mit 50-jähriger Erfahrung kennen Sie sich auf dem Gebiet wie kaum ein anderer aus. Was waren für Sie die überraschendsten Entwicklungen?

Aids war ein Schock, der eine ganze Kultur paralysiert hat. Genauso unerwartet kam für mich die gesellschaftliche Veränderung im Umgang mit sexuellen Minderheiten. Wenn mich jemand vor vierzig Jahren gefragt hätte, ob ich es für denkbar halte, dass schwule und lesbische Paare eines Tages als ehegleich anerkannt werden, hätte ich geantwortet: unmöglich! Dazu muss es eine andere Gesellschaft geben, die eine völlig neue Beziehung zur Sexualität hat.

Wie frauen- und homosexuellenfeindlich, wie verkorkst und prüde die 50er-Jahren waren, kann man sich heute kaum mehr vorstellen.

Es war grauenhaft, welch riesiges Misstrauen gegenüber der Sexualität bestand. Ausdruck davon waren beispielsweise Gesetze wie jene zur Kuppelei oder Homosexualität, mit denen der Staat die intimsten Lebensbereiche seiner Bürger kontrollierte, aus Überzeugung, dass diese zu schwach seien, ihre sexuellen Impulse angemessen zu steuern. Erst mit der Studentenbewegung der 68er kam eine Dynamik in Gang, die den Menschen die Souveränität über ihre Sexualität gebracht hat.

Sie haben die Sexualität homosexueller Männer erforscht. Was können die Heterosexuellen von den Schwulen lernen?

Einen anderen Umgang mit dem Fremdgehen. Die Heterosexuellen sollten mit der Heuchelei aufhören und kapieren, dass man sehr glückliche Beziehungen haben kann, ohne treu sein zu müssen. Auch gut, wenn jemand treu ist. Aber dass Heterosexuelle auf einen Seitensprung fast immer mit einem Trennungsimpuls reagieren, ist für mich unverständlich. Schwule Paare handeln ihren Umgang mit dem Fremdgehen natürlich auch aus und stellen gewisse Bedingungen; es ist keineswegs so, dass da jetzt alle alles machen können. Aber sie bekommen die Quadratur des Kreises wesentlich besser hin: eine langjährige Beziehung und immer wieder sexuelle Leidenschaft.


Regie: Ali Soozandeh, Produktion: 2017, Länge: 96 min, Verleih: Präsensfilm