Der Kreis
Die grosse Liebe zwischen Ernst Ostertag (links) und Röbi Rapp
Zürich, in den 50er-Jahren: Der junge Französischlehrer Ernst Ostertag, glaubhaft verkörpert von Matthias Hungerbühler, wird Mitglied der Schwulenorganisation «Der Kreis». Dort lernt er den Coiffeur und Travestie-Star Röbi Rapp, brillant gespielt von Sven Schelker, kennen und verliebt sich unsterblich in ihn. Röbi und Ernst erleben miteinander die Blütezeit und die Zerschlagung der Organisation, die europaweit als Wegbereiter der schwulen Emanzipation gilt. Ernst muss sich zwischen seiner bürgerlichen Existenz und dem Bekenntnis zur Homosexualität entscheiden. Röbi erlebt seine erste seriöse Liebesbeziehung, die ein ganzes Leben dauern wird. Beide sind heute 84-jährig und waren 2003 das erste offiziell getraute Männerehepaar. Als später auch in Zürich die Repressionen gegen Schwule massiver werden, kämpfen die zwei unterschiedlichen Männer um ihre Liebe, und zusammen mit ihren Freunden, generell für die Rechte der Homosexuellen.
Röbi Rapp in seiner Jugend, grossartig verkörpert von Sven Schelker
Zürich als Zentrum der europäischen Schwulenbewegung
Gründer der Organisation «Der Kreis» war «Rolf», ein Pseudonym für den damals bekannten Schauspieler Karl Meier. Dieser baute ein internationales Netzwerk auf, dessen wichtigstes Medium die Zeitschrift «Der Kreis – Le cercle – The circle» war. Nebst Kurzgeschichten, Gedichten und Fotos erschienen darin Artikel über die Aktivitäten von Homosexuellengruppen in der ganzen Welt und die Zeitschrift trug so zum internationalen Austausch bei. Ab 1948 betrieb die Organisation im Gebäude des heutigen Theaters am Neumarkt einen Club, in dem sich «Homophile» trafen, Gedankenaustausch pflegten und Bekanntschaften schlossen. An den grossen, regelmässigen Maskenbällen nahmen in den 50er-Jahren jeweils bis zu 800 Schwule teil, die aus ganz Europa und sogar Amerika anreisten.
Ab 1959 nahm auch in Zürich, nicht zuletzt aufgrund mehrerer Morde im Stricher-Milieu, die Repression zu. Die Stadtpolizei legte Schwulenregister an und führte Razzien durch. Homosexuelle wurden verfolgt, verhört und misshandelt. Gleichzeitig erlebte «Der Kreis» einen internen Strukturwandel. Rolf, der Gründer und «Übervater» der Organisation, vertrat einen moderat-angepassten Kurs, im Gegensatz zu jüngeren Mitgliedern, die kompromissloser dachten. Aufgrund eines durch den Stadtrat beschlossenen «Tanzverbots für Männer mit Männern» auf städtischem Boden verlor «Der Kreis» seine wesentlichste Geldquelle, die grossen Ball-Veranstaltungen. 1961 musste der Club schliessen. Zusätzliche interne Diskussionen führten dazu, dass die Zeitschrift eingestellt und die Organisation 1967 aufgelöst wurde. Dank der wertvollen Aufbauarbeit der Zürcher Organisation entstanden im In- und Ausland Nachfolgeorganisationen, die eigene Zeitschriften publizierten.
Die jährlichen Bälle, gesellschaftliche und finanzielle Höhepunkte
Anmerkung des Regisseurs
«In Russland wird ein Anti-Homosexuellen-Gesetz unterzeichnet. In Uganda droht Homosexuellen lebenslängliche Gefängnishaft. In den USA wird von Suizidwellen unter schwulen Jugendlichen berichtet. In Belgrad kommt es nach einer Gay-Parade zu schweren Ausschreitungen. Und in Paris, der „Stadt der Liebe“, endet eine Demonstration gegen die Homo-Ehe in Strassenschlachten: Selbst im so genannt fortschrittlichen Westeuropa ist der Weg von einem allfälligen Tolerieren hin zur vorbehaltlosen Akzeptanz von Homosexuellen auch heute mitunter noch sehr weit.
„Der Kreis“ handelt somit, trotz seiner zeitlichen Distanz und örtlichen Konkretheit, von einem globalen, nach wie vor hochaktuellen Thema. Er wirft einen wachen Blick auf einen historisch und gesellschaftspolitisch relevanten Zeitabschnitt im Kampf der Schwulen um Gleichberechtigung und Emanzipation. Ein Kampf, der noch längst nicht zu Ende ist. Denn ich weiss noch genau, was es alles an Fragen, Gefühlen und Gedanken in mir ausgelöst hat, als sich vor Jahren mein Bruder mir gegenüber als Homosexueller geoutet hatte …»
Ernst Ostertag in seiner Jugend, sensibel verkörpert von Matthias Hungerbühler
Ein aufwühlendes Dokument tiefer Menschlichkeit
Der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt (*1961) hat sich mit Spielfilmen wie «Utopia Blues» und «How About Love» sowie Dokumentarfilmen wie («Das Lied für Argyris» und «Sagrada» einen Namen gemacht. Der inhaltlich wichtige und formal gelungene Film «Der Kreis» verwebt meisterhaft Interviews mit den beiden Protagonisten und weiteren Zeitzeugen mit nachgespielten Szenen ihres Lebens mit fliessenden Übergängen und einer anregenden Montage. Daraus entstand ein rundum gelungener Film: eine fiktional und non-fiktional ausgeleuchtete intime Innenansicht einer homosexuellen Beziehung, gleichzeitig ein Stück wieder aufgearbeitete Geschichte Zürichs und darüber hinaus ein grossartiges Sittengemälde von universaler Bedeutung.
Dem Regisseur ist es mit seinem Film meisterhaft gelungen, die Geschichte von Röbi Rapp und Ernst Ostertag aufzuarbeiten und erlebbar zu machen. Gleichzeitig bringt er einem breiten Publikum die weitgehend verdrängte Geschichte der Homosexuellen-Bewegung in Zürich, Europa und in der Welt nahe und thematisiert sie. Nicht distanziert und theoretisch, sondern aufwühlend und einfühlsam.
Wie die heterosexuelle Liebe nichts Zusätzliches zum Menschssein darstellt, so verhält es sich auch bei der homosexuellen Liebe. Sie ist nicht zusätzlich und abnormal, sondern ebenfalls der innerste Kern des Menschseins, der menschlichen Existenz. Der Film «Der Kreis» wird in Form eines Gleichnisses ein Sinnbild des Lebens. Dies in all seinen historischen, psychologischen, soziologischen Dimensionen bewusst zu machen und Gestalt werden zu lassen, ist das Verdienst von Stefan Haupt.
Der Film wurde bereits an 72 Festivals eingeladen und vertritt die Schweiz im März 2015 bei der Oscar-Verleihung in der Kategorie «Best Foreign Language Film in Hollywood.
Regie: Stefan Haupt
Produktionsjahr: 2014
Filmlänge: 102 min
Verleih: www.ascot-elite.ch