Transit

Leben im Transit-Modus: Nach dem Roman von Anna Seghers erzählt Christian Petzold, in die Gegenwart verlegt, vom schwierigen Leben zwischen Heimat, Flucht und Exil, mit Franz Rogowski und Paula Beer in den Hauptrollen.
Transit

Marie (Paula Beer) und Georg (Franz Rogowski)

Die deutschen Truppen stehen bereits vor Paris. Georg, ein deutscher Flüchtling, ist im letzten Moment nach Marseille entkommen. Im Gepäck hat er die Hinterlassenschaft des Schriftstellers Weidel, der sich aus Angst vor seinen Verfolgern das Leben genommen hat: ein Manuskript, Briefe und die Zusicherung eines Visums von der mexikanischen Botschaft. Denn in Marseille darf nur bleiben, wer beweisen kann, dass er weiterreisen wird. Visa für Aufnahmeländer werden gebraucht, Transitvisa und die raren Tickets für die Schiffspassage. In Marseille angekommen, erinnert Georg sich der Papiere Weidels, bedient sich seiner Identität und taucht ein in die Existenz des Transits.

Flüchtlingsgespräche in den Korridoren der Hotels und Konsulate, in den Cafés und Bars am Hafen handeln davon, die nötigen Papiere zu erhalten und erlebte Geschichten loszuwerden. Hier trifft Georg die taubstumme Melissa, die Frau des mittlerweile verstorbenen Heinz, mit dem er geflohen ist, und freundet sich mit deren Sohn Driss an. Dann begegnet er der geheimnisvollen Marie, die immer wieder suchend die Strassen, Bars und Cafés durchstreift. Sie ist, so stellt sich heraus, die Frau des Dichters Weidel, von dem sie sich einst getrennt hatte, sich dann aber mit ihm versöhnen wollte, um gemeinsam aus Europa zu fliehen. Georg, wissend, dass ihre Suche nach Weidel vergeblich ist, hält dieses Wissen geheim, weil dessen Transitvisa ihm selbst die Flucht ermöglichen sollen. An den offiziellen Stellen tritt er als Weidel auf, was Marie zugetragen wird und sie glauben lässt, dass ihr Mann noch lebt und sich in Marseille aufhält. Sie selbst wohnt in einem Hotel, zusammen mit dem Arzt Richard, der davon spricht, in Mexiko ein Krankenhaus zu eröffnen. Ob den Dreien die Überfahrt gelingen wird?

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In Marseille auf der Flucht

Anmerkungen von Christian Petzold zu «Transit»

Das ganze Interview, das vor allem Filmliebhaber interessieren dürfte, enthält das PDF im Anhang.

Wie ist die Idee entstanden, die «Transit»-Erzählung von 1940 im heutigen Marseille zu drehen?

Für «Transit» hatten Harun Farocki und ich ein erstes Treatment geschrieben, in dem alles als historischer Film gedacht war, Marseille 1940. Das habe ich mir nach dessen Tod wieder hervorgenommen und hatte das Gefühl, das Drehbuch schreibe sich wie von selbst. Dann ist mir aber klar geworden, dass ich überhaupt keine Lust auf einen historischen Film hatte. Ich wollte nicht Zeiten rekonstruieren. Wir haben überall auf der Welt Flüchtlinge, wir leben in einem Europa der Renationalisierungen, da will ich nicht mit einem historischen Film zurück in den sicheren Bereich gehen. Ich dachte nochmals über «Transit» nach. Bei Anna Seghers ist der Transitraum beschrieben als der zwischen Europa und Mexiko, und gleichzeitig kann man den Transitraum historisch sehen, als zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Würden Sie «Transit» als Liebesfilm beschreiben?

Ja. Ich glaube, man kann eine Flucht nur als eine Liebesgeschichte erzählen. Die Liebe braucht Zeit, aber die Liebe hat auch etwas, was die Flucht nicht zerstören kann. Liebende können sich ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit schaffen. Sie können aus der Geschichte aussteigen. Das ist das Schöne.

Spielte die Aktualität des Flüchtlingsthemas eine Rolle für die Arbeit an «Transit»?

Als wir «Transit» vorbereitet hatten, wurde gerade das Lager in Calais geräumt, der sogenannte Dschungel. Und manche Leute sagten: Das müsst ihr aufnehmen, ihr müsst die afrikanischen Flüchtlinge zeigen, die Fluchtboote, die angespülten Leichen in Lampedusa. Aber das geht nicht. Was wir im Film haben, ist der Maghreb in Marseille, aber das gehört zur Stadt, zur französischen Kolonialgeschichte, die ist ja da. Unsere Aufgabe ist gewesen, den Raum der Erzählung um das zu bilden, was da ist.

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Georg im Transit-Modus

Transit: weder da, noch dort, sondern nirgendwo

Gabriel Marcel hat den Menschen als «Homo viator», als Gehenden, definiert, der sich von da nach dort bewegt, von einem Ort zu einem andern. August Rodin und Alberto Giacometti haben dafür gültige Abbilder geschaffen. Was Anna Seghers 1944 in ihrem Buch und Christian Petzold 2017 in seinem Film beschreiben, ist das Gegenteil: der Transit, in dem der Mensch nicht mehr dort und noch nicht da ist, sondern nirgendwo. Des Menschen Heimat ist die Heimatlosigkeit. Diese bedingt auch den Verlust der Identität. Eine solche ist im Transit nicht möglich: Sie löst sich auf, setzt sich wieder zusammen, löst sich wieder auf. Georg zum Beispiel ist Georg, wird Weidel, ist nicht mehr Weidel, wird wieder Georg usw.

«Ein Transitraum ist ein Übergangsraum, so wie die Boarding Zone im Flughafen, man gibt alles ab, aber ist noch nirgendwo angekommen. Er ist zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Passagiere sind herausgefallen: aus der Geschichte, aus dem Leben. Sie hängen fest, im Raum und in der Zeit. Die Menschen in "Transit" sind festgehalten in Marseille, warten auf Schiffe, Visa, Transits. Sie sind auf der Flucht. Es wird für sie kein Zurück mehr geben. Niemand will sie aufnehmen, niemand will sich um sie kümmern, niemand nimmt sie wahr – nur die Polizisten, die Kollaborateure und die Überwachungskameras», meint Christian Petzold in einem Kommentar zu seinem Film, der an einzelnen Stellen kafkaesk und absurd anmutet.

Im gleichnamigen Buch, das dem Film zugrunde liegt, umschreibt Anna Seghers diese Situation, den Transit-Modus, wie folgt: «Fort, nur fort aus diesem zusammengebrochenen Land, fort aus diesem zusammengebrochenen Leben, fort von diesem Stern! Uraltes frisches Hafengeschwätz, phönizisches und griechisches, kretisches und jüdisches, etruskisches und römisches. Ein Zustand, den man auf Konsulaten Transit nennt und in der gewöhnlichen Sprache Gegenwart.»

Der Film ist grossartig, ein Meisterwerk, beeindruckend durch die Tiefe seiner Aussagen, aber auch seine hochprofessionelle Form, das Spiel der Protagonisten Franz Rogowski als Georg (siehe auch seine Hauptrolle in «In den Gängen»), Paula Beer als Marie (siehe auch ihre Hauptrolle in «Frantz») und der übrigen Crew vor und hinter der Kamera. «Transit» ist ein Dokument über das Nicht-Weggehen- und Nicht-Ankommen-Können, den Transit-Modus als Existenzform.

Das Buch von Anna Segherts ist in verschiedenen Ausgaben, auch als Hörbuch und eBook erhältlich.

Siehe auch Petzolds Film «Barbara» aus dem Jahre 2012 über eine andere Ausreise, nämlich aus der DDR, und als Vergleich «Vor der Morgenröte» von Maria Schrader aus dem Jahre 2016 über die Flucht des Schriftstellers Stefan Zweig nach Mexiko.
Regie: Christian Petzold, Produktion: 2018, Länge: 101 min, Verleih: Look Now!