Nahid

Die verbotene Ehe: Die Iranerin Ida Panhandeh schuf mit «Nahid» ein filmisches Dokument der Absurdität der von Männern gemachten traditionellen, religiösen Gesetze, die das Leben zum Hundeleben degradieren.
Nahid

Nahid, ein Opfer der Gesetze

Nahid lebt mit ihrem zehnjährigen Sohn Reza in einem kleinen Dorf am Kaspischen Meer. Sie hat sich eben von Ahmad scheiden lassen, der erfolglos versucht, sie zurückzugewinnen. Nach iranischem Recht liegt das Sorgerecht beim Vater. Doch dieser tritt es unter der Bedingung an Nahid ab, dass sie keinen neuen Mann heiraten darf. Als sich Nahid jedoch in den Hotelbesitzer Masoud, mit dem Töchterchen Mobina, verliebt und dieser sie um ihre Hand bittet, wird sie vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt. Die nun ledige Frau spürt Verachtung und erleidet Erniedrigung von Verwandtschaft und Gesellschaft. Doch sie gibt nicht auf und kämpft: für sich, die Würde der Frau und ihren Sohn.

Sareh Bayat, die weibliche Hauptdarstellerin in Asghar Farhadis Erfolgsfilme «A Separation», spielt auch in «Nahid», dieser Chronik einer geschiedenen iranischen Frau, die Hauptrolle. Regie führte Ida Panahandeh, die 1979 in Teheran geboren wurde und an der dortigen Universität Film studierte. Schon in ihren ersten Fernsehspielen und Dokumentarfilmen interessierte sie sich für die Rolle und Rechte der Frau in der persischen Gesellschaft. «Nahid» ist ihr ersten Kinospielfilm.

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Nahid und Ahmad

Bilder und Worte des menschlichen Elends

Um ihre Personen zu charakterisieren, wechselt die Kamerafrau Morteza Gheidi technisch und stilistisch geschickt zwischen Hand- und Studiokamera, Action und Ruhe sowie warmen und kalten Interieurs und Exterieurs. Mit der Montage wird das Hin-und-Hergerissen-Werden der Protagonistin in Szene gesetzt. Durch die Strandaufnahmen auf dem Beobachtungsmonitor im Hotel, wo Annäherung und Trennung der Liebenden festgehalten werden, streunt stets ein hinkender Hund. Die Bilder, vertieft und überhöht durch die Musik von Majid Pousti, beschreiben eine kalte, neblige, düstere, hoffnungslose Welt, in der weder ein anständiges Leben, noch eine Liebe zwischen Nahid und Masoud möglich sind. Die Beziehung zwischen der leidgeprüften Mutter und ihrem pubertierenden Sohn hat einen Höhepunkt in der berührenden Szene, in der Nahid mit Reza auf dem Schoss vom einen Ufer zum andern übersetzt. Wie zufällig setzt die Regisseurin damit ein Zeichen: eine moderne Pietà, die neben der ehelichen und der sozialen Problematik der Mutterschaft ein Denkmal setzt.

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Flüchtige Glücksmomente

Die Regisseurin über das Projekt und die Konflikte dahinter

«Schon seit Jahren, wenn meine Ko-Drehbuchautorin Arsalan Amiri und ich ein neues Drehbuch zu schreiben begannen, zwang sich uns immer wieder eine junge Frau mit einem ungehorsamen und unbändigen Sohn auf. Ausserdem war sowohl ihre, als auch meine Kindheit durch die Abwesenheit der Väter geprägt. Wir beobachteten den Kampf unserer Mütter, sich als unabhängige Frauen in der traditionellen iranischen Gesellschaft zu behaupten. Die Persönlichkeit dieser Frauen ist eine völlig andere als jene von nicht alleinerziehenden Müttern. Sie streben nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder. Nahid ist diese Art von Frau. Vielleicht zollen wir unterbewusst unseren Müttern damit unsere Anerkennung.

Ausgangspunkt für den Aufruhr im Film ist der Übergang von der traditionellen zur modernen iranischen Gesellschaft. Das iranische Volk verändert sich wie der Rest der Welt, Traditionen werden gebrochen. Doch die Gesetze hinken den Veränderungen hinterher. Somit sind sie nicht mehr Spiegelbild der Gesellschaft. Und als Folge dieser Diskrepanz werden die verschiedenen Bevölkerungsschichten und Ethnien, aber auch Frauen und Männer, unfreiwillig Feinde.

Nach aktuellem iranischen Gesetz erhält der Vater das Sorgerecht für gemeinsame Kinder, sobald eine geschiedene Mutter sich wieder verheiratet. Um dieses nicht zu verlieren und gleichzeitig ein Rechtsverhältnis mit einem Mann eingehen zu können, gibt es als Alternative die Zeit-Ehe. Obwohl diese nach der Scharia rechtmässig ist, verachten die meisten Iraner die Frauen, die eine solche eingehen. Die Gesellschaft sieht darin ein Tabu. Für viele ist sie auch eine Möglichkeit, Frauen auszunutzen, da Männer mehrere Ehefrauen haben können, selbst für ein paar Stunden. Deswegen halten Nahid und Masoud ihre Zeit-Ehe geheim und geben vor, eine permanente Ehe zu führen.»

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Der Ex-Mann mit dem Sohn

Wenn Gesetze eine Ehe verhindern

Nahid, die sich scheiden lassen will, kann dies. Der gewalttätige Ahmad tritt Nahid das Sorgerecht für ihren Jungen unter der Bedingung ab, dass sie keinen andern Mann heiratet. So lässt der Ex-Mann die Ex-Frau nicht frei, sondern braucht sie als Pfand. Der Staat, dahinter die Religion, bieten also mit der Zeit-Ehe eine zynische Lösung an. Die Frau bleibt, wie eine Zeit-Soldatin, für den Ex-Mann verfügbar. Eine solche Beziehung verunmöglicht jede neue Partnerschaft und Ehe. Der Staat will die Frau nicht belohnen, sondern bestrafen. «So will es das Gesetz, so will es Gott», meint Ahmad und mit ihm wohl viele muslimische Männer.

Eine solche Diskriminierung gibt es im heutigen Iran, das zeigt der Film. Noch brutaler schildert Esen Isik im Film «Köpek» die Situation in der Türkei. Nicht wesentlich anders verhält es sich im orthodoxen Judentum, beispielhaft beschrieben im Film «Get – Der Prozess der Vivianne Amsalem» von Ronit Elkabetz. Und wie ist das bei uns, im christlichen Abendland? Vergleichbare Beispiele der Diskriminierung der Frau kennen wohl alle, wenn wir ein, zwei Generationen zurückblenden. Filme darüber gibt es zur Genüge. So darf man wohl folgern, dass eine verwandte Frauenfeindlichkeit in allen drei Buchreligionen herrscht, im Judentum, Christentum und im Islam. Alle drei Religionen haben einen Mann als Gott, keine Göttin, ihre heiligen Bücher wurden von Männer geschrieben, nicht von Frauen, und sie werden, mit wenigen Ausnahmen, von Männern dominiert.

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Nahid, Masoud, der streunende Hund

Die menschliche Dreifaltigkeit

Der Schluss von «Nahid» bleibt offen, wie das Leben. Nahid und Masoud finden sich nochmals am Strand ein, mit dem hinkenden Hund. Dazu kommt ein neues Paar mit einem Kind. Zwei Szenen, vor dem Hintergrund des Meeres, seiner Brandung, seiner Gezeiten. Beide Szenen, in einer einzigen vereinigt, das deutet vielleicht an, dass es im ganzen Film und im Leben nicht bloss um den Mann und die Frau, sondern zusätzlich um das Kind geht. Erst mit ihm ist die Zukunft in die Gegenwart einbezogen.

Drei aktuelle Filme gehen von einer ähnlichen Konstellation aus, in welcher ein Kind eine wichtige Rolle spielt: «Julieta» von Pedro Almodóvar, «Le Voyage en Chine» von Zoltán Mayer und «Le memoria del agua» von Matías Bize. Eine in diesen Filmen angedeutete «menschliche Dreifaltigkeit» erst umfasst das Ganze des Lebens, macht es allgemein menschlich und universal.

Regie: Ida Panahandeh, Produktion: 2015, Länge: 105 min, Verleih: cineworx.ch