Un métier sérieux
Benjamin, der neue Lehrer
Landauf, landab ist die Schule in den Medien. Alle paar Monate lancieren Experten neue Konzepte, mit dem Erfolg, dass die ganze Energie der Lehrkräfte für die Implementierung der neuen und die Eliminierung der alten verbraucht wird. Bescheidener kommen Berichte von realisierten Projekten daher, im Film z. B «Bratsch - Ein Dorf macht Schule», «Herr Bachmann und seine Klasse» und «Le tableau noir» oder weitere Berichte unter dem Titel «Schule» dieser Website.
Sandrine und Pierre
Vom Landarzt ins Lehrerzimmer
«Un métier sérieux» des Erfolgsregisseurs Thomas Lilti ist eine Überraschung, ein Türöffner zu einem neuen Blick auf die Schule. Angemerkt sei, Lilti ist ein ausgebildeter Landarzt und hat darüber Fernsehsendungen und Filme gemacht, z. B. «Médecin de campagne». «Ich wusste, dass nach den TV-Arbeiten meine Rückkehr zum Film sich um ein anderes Universum als die Medizin drehen würde.» Wie in seinen Filmen über Medizin geht er auch im Film über die Schule die Fiktion über die Realität an. Er hinterfragt einen Beruf am eingesetzten Engagement. Da dieses von Pflegekräften seit über zehn Jahren im Mittelpunkt seiner Arbeit stand, interessierte er sich im neuen Film für das Engagement der Lehrkräfte. Wie findet man Sinn in der Ausübung eines Berufs, der verunglimpft, verarmt und deklassiert wird? Er versucht, das Leben am Beispiel einer Gruppe von Lehrer:innen an einem Gymnasium zu verstehen: Was ist das Salz in der Suppe ihres Berufs?
Pierre und Benjamin
Das Schuljahr beginnt, ein neuer Lehrer kommt
Zu Beginn des Schuljahrs tritt Benjamin als neuer Mathelehrer an einem Collège eine Stelle an. Das Unterrichten fällt ihm anfangs nicht leicht, die Jugendlichen fordern ihn ganz schön heraus. Doch das engagierte Lehrerteam und der Zusammenhalt, den Benjamin an der Schule erlebt, inspirieren ihn, und mit wachsender Kompetenz wächst auch seine Leidenschaft für den Beruf.
Im Nebenzimmer lehrt Pierre, der von seinem erwachsenen Sohn enttäuscht ist. Und Meriem hat eine Versetzung beantragt. Sandrine wird von ihrem eigenen Kind drangsaliert. Neben den anderen Lehrkräften mit ihren privaten und schulischen Geschichten kommt Benjamin in eine verzwickte Lage, als er einen Schüler fürs Abschreiben bestraft und dieser ihn plötzlich bedroht. Böse Worte, ein Schubser und schon sieht sich der Junglehrer dabei, die Zukunft eines Teenagers massiv ins Wanken zu bringen.
Beim Pausenkaffee
Frauen und Männer, die uns seit unserer Jugend begleiten
Auf die Frage, ob «Un métier sérieux» vom Wunsch getragen sei, die Lehrer zu rehabilitieren, antwortet Lilti: «In meiner Familie gab es viele Lehrer, darunter auch meine Mutter, die Französisch lehrte. Ich bewunderte ihren Einsatz; ich konnte spüren, dass die Schule für sie, wie für viele Frauen in den 80er Jahren, ein Ort der Emanzipation war. Es geht nicht darum zu sagen, dass Lehrer Helden sind, sondern dass man sich um sie kümmern muss und die Éducation Nationale ein wertvolles Gut ist.»
Der Filmemacher versteht sich als Erzähler und Romancier. Das Verarbeiten von Realität zum Roman ist der Schlüssel zu seiner Arbeit. «Erst nach und nach tauchte ich ganz in das Thema ein. Ich lasse mich nie von fiktionalen Werken beeinflussen, sondern immer von der Realität. Schliesslich kann ich heute sagen, dass mein Beruf als Arzt meinen Blick auf die Dinge beeinflusst hat. Ich glaube, dass ich auch heute wie ein Arzt beobachte, analysiere, diagnostiziere. Meine Figuren sind zu meinen Patienten geworden. Entstanden ist kein Film über das Tun, sondern ein Film über das Sein.»
Meriem mit Benjamin
Vergangenheit, Solidarität und das Lehrerzimmer
Der Vorspann besteht aus Bildern aus dem Archiv. Die Schule steht seit Generationen im Mittelpunkt unseres Lebens, egal ob wir Kinder, Eltern oder Grosseltern sind. Die Bilder zeigen auch, wie sich die Stellung der Schüler:innen und der Lehrer:innen verändert hat, von eher vertikal vor 50 Jahren zu horizontal heute. Dennoch sind zwei Dinge unveränderlich: Schüler:innen sind Individuen in der Ausbildung, die Schule steht im Mittelpunkt ihres Lebens; das Engagement der Lehrer:innen besteht in der Wissensvermittlung und im Erlernen des Zusammenlebens in der Gruppe. Die meisten von uns erinnern sich an den einen oder andern Namen einer Lehrperson, die ihn in Jugend geprägt hat. Denn Schule war und ist ein Ort individueller Begegnungen und kollektiver Herausforderungen, die uns wachsen und reifen lassen.
Eindrücklich und in kleinsten Details zeigt der Film die Solidarität, welche die Lehrer in diesem Team praktizieren, wohlwollend, unterstützend und kritisch begleitend. In gewisser Weise gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen der Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden. «Un métier sérieux» öffnet vielleicht auch für viele zum ersten Mal die Türe zum Lehrerzimmer, das über lange Jahre verborgen, ja verboten war. «Das war in der Tat eines meiner grössten Vergnügungen», meint der Filmemacher rückblickend, «denn ich war schon immer vom Lehrerzimmer fasziniert. Als ich noch ein Kind war und meine Mutter mir davon erzählte, wurde ich immer neugierig: Waren die Personen im Lehrerzimmer so, wie wir sie im Klassenzimmer erlebten? Als Schüler erfährt man kaum etwas über das Privatleben der Lehrer. Vielleicht war es diese Neugier, die mich dazu brachte, diesen Film zu drehen.»
Eine 6 für die Menschen vor der Kamera und hinter der Kamera
Die einleitenden Anmerkungen sind nicht das Erste und nicht das Letzte, das von diesem Film ankommt und nachklingt. Der Ersteindruck und der Nachhall ist ein unterhaltsamer, humorvoller, warmherziger, trauriger, kluger und tiefmenschlicher Besuch bei Lehrerinnen und Lehrern und bei Schülerinnen und Schülern in einer Schule in Frankreich.
Gespielt, nein gelebt werden all diese Lehrerinnen und Lehrer von exzellenten Schauspielerinnen und Schauspielern aus der Garde des französischen Films; diesen nacheifernd die Schülerinnen und Schülern, überzeugend in ihrer Spontaneität, Authentizität und Intensität. Neben einem klugen Drehbuch, einer sensiblen Regie und einem perfekten Schnitt, wofür Thomas Lilti verantwortlich ist, muss die Kameraarbeit von Antoine Heberle positiv hervorgehoben werden, die wesentlich dazu beiträgt, dass wir so nahe an die Menschen dieses Films und ihr Leben herantreten dürfen.